Bahn-Highlights: Von Klischees und menschlichen Grenzen
Handyverlust und Lehrstunden über Entwicklungshilfephilosophie waren nur zwei Höhepunkte im täglichen Gefühls- Auf und Ab des Bahnfahrens, das während der drei Monate meines Ruhrpottpraktikums über mich erging. Zahlreiche Weitere möchte ich nicht verhehlen, gewähren sie doch einen außergewöhnlichen Einblick in das menschliche Verhalten in Stresssituationen, die die jeweils Betroffenen an die Grenzen von Rationalität und Contenance führen.
- Da bestätigte sich zunächst das Klischee des selbst für Angestellte der Deutschen Bahn undurchdringbaren Tarifdschungels des Unternehmens. Und das schon Wochen vor Beginn meiner Bahnfahrerkarriere: Am Bahnhof im heimatlichen Hameln versuchte ich mein erstes Zugticket für die Praktikumszeit zu erstehen. Es trug den Namen „SchöneFerienTicket NRW“ und sollte für die Zeit der Nordrhein-Westfälischen Sommerferien in dortigen Nahverkehrsbahnen gelten. Nach einigen Minuten der Kundenschlangenbildung hinter mir und des angesichts der tropischen Temperaturen schweißtreibenden Recherchierens des Schalterangestellten vor mir, teilte dieser mir mit, den gewünschten Tarif in seinem Computer gefunden zu haben. Ich freute mich sehr über diese Nachricht, wurde das Murren in der Schlange hinter mir doch stetig lauter. Jetzt musste ich nur noch das Ticket entgegen nehmen, fix zahlen und dann raus aus der Schaltersauna. „Tut mir leid,“ murmelte der Angestellte nach der skeptischen Untersuchung seines Fahrkartendruckers, „mir fehlt der passende Vordruck. Da müssen Sie sich in Nordrhein-Westfalen am Bahnhof die Karte kaufen. Hier haben wir das falsche Papier.“ - „Ach so…“ sprach ich und ging unter dem mitleidigen Blick des Mannes. Einige Tage später fand ich nach mehrstündigem Internetsurfen auf der Seite eines regionalen Verkehrsbetriebes aus NRW die Möglichkeit des Onlineerwerbs des „SchöneFerienTickets“. Hier war es üblich, sich nach Zahlung der Fahrkarte eine Datei herunter zu laden und deren Inhalt anschließend auf DIN A 4 Papier zu drucken. Das Ergebnis war ein für sechs Wochen gültiges Nahverkehrsticket.
- Es ist der 15. September. Nichts ahnend sitze ich in der RB 29292 und fahre die letzte Tagesetappe von Münster nach Osnabrück. Nach einem harten Arbeitstag gelten meine Gedanken und Sehnsüchte dem warmen heimeligen Herd, meinem holden Weib und dem Kinde. Auch sehne ich mich nach einer heißen Tasse Kakao oder einer Terrine Hühnersuppe. Die Regentropfen, die nach dem Auftreffen an der Fensterscheibe zu kleinen Wasserläufen werden, dazu die mittlerweile eingebrochene Dunkelheit, die ruhige Fahrt und die monotonen Waggongeräusche fördern meine meditative Einstimmung auf den bevorstehenden kuscheligen Abend. „Elke, könntest du bitte mal nach vorne kommen?“ dröhnt die Stimme des Lokomotivführers gewaltig lautstark durch den etwa 30 Jahre alten Abteillautsprecher. Danach wieder Stille.
- Das Nutzen der Bahn kann mitunter den ein oder anderen Fahrgast in Lebensgefahr bringen. So geschehen in der RE 29631 zwischen Bochum und Hamm an einem kochend heißen Hochsommertag. Bereits beim Zusteigen kam mir eine unerträglich miefende Hitzewelle entgegen. Die erleichterten Blicke und Äußerungen der in Bochum Aussteigenden bestärkten meine Ängste, die sich im Waggoninneren bestätigen sollten: Es herrschten mindestens 45 °C, trotzdem waren fast alle Sitzplätze belegt, sodass sich neben der Hitze eine interessant schwüle Geruchsbrühe ergab. „Gut, dass ich nicht allzu lang mit diesem Zug fahren muss.“ dachte ich und ergriff eine der letzten freien Sitzgelegenheiten. Der recht alte Herr neben mir, begleitet anscheinend von seinem Sohn, nutzte nach kurzer Fahrtzeit die angesichts des Haltes in Dortmund geöffnete Wagentür, um frische Luft einzuatmen. Als er diese nicht mehr zum Schließen und damit zur Weiterfahrt des Zuges freigeben wollte, erschien nach kurzer Zeit ein Schaffner und ermahnte den Mann: „Nun entscheiden Sie sich endlich; entweder raus oder rein! Sie halten den ganzen Zug auf!“ Darauf bellte der Alte vollkommen entgeistert: „Wir halten das hier drinnen nicht aus! Wir ersticken!“. Sein mutmaßlicher Sohn schritt nun ein und zog ihn wieder auf seinen Platz. Da es mir mittlerweile ziemlich stank, kam ich auf die Idee, den Waggon zu wechseln. Gedacht, getan: Nach dem Durchschreiten der zwei üblichen Trenntüren betrat ich plötzlich eine gänzlich andere Geruchs- und Klimazone, was wohl daran lag, dass die entsprechende Anlage in diesem Wagen funktionstüchtig war. Super!
- Witzig war auch die etwa zwanzigköpfige Gruppe südamerikanischer Nonnen, die eines Tages in Münster den EC 100 bestieg. Offensichtlich hatte Papst Benedikt XVI. auf dem Kölner Jugendtag, denn diesen hatten die Nonnen definitiv besucht, die Kleiderordnung des Ordens dieser Frauen um einen jugendlich-frisch grauen Rucksack mit frech buntem Jugendtagsemblem erweitert. Zumindest trugen die Frauen ausnahmslos einen solchen zu ihrer gewohnten Tracht.