Willkommen in Dunadingsda I

von Darren Grundorf, Jan Paulin und Kalle Kalbhenn

dunadingsdapolaroid04.gif

erschienen in Kommunikaze 21, Oktober November 2006

Derr Zauber des Reisens besteht darin, in der Fremde zu sein und sich als Fremder unter Fremden zu bewegen. Das ist niemals ohne Risiko, und auf die Polizei ist auch nicht immer Verlass. So kann es schon mal passieren, dass einem beim Heuschrecken-Essen in Bangkok die Geldbörse stibitzt wird, oder man in Venedig von einem kriminellen Gondoliere ins Ungewisse gestakt wird. Die Kommunikaze-Redaktion ist jedoch bekannt dafür, dass solcherlei drohendes Unheil die Autoren des Blattes nicht davon abhalten kann, von Zeit zu Zeit ins befreundete Ausland zu fahren und von dort mit aufregenden Leseabenteuern zurückzukehren - sei es nun das Penismuseum in Reykjavik oder die restaurierte Windmühle „Großer Napoleon“ im belgischen Hamme. Für die Redakteure der Kommunikaze sind Abstecher zu exklusiven Zielen so einfach wie Kastanien Sammeln im Herbst. Deshalb muss man sich über das Wie und Warum der nun folgenden Geschichte auch kaum den Kopf zerbrechen: Im Juli 2006 landeten die Kollegen Grundorf, Kalbhenn und Paulin jedenfalls im südungarischen Dunaszekcsõ, um dort einen Dokumentarfilm zum Thema Europa zu drehen. Doch statt Antworten auf ihre Fragen nach der europäischen Identität zu erhalten, sollten die drei unerschrockenen Redakteure, tatkräftig unterstützt von Stine Klapper und Jasmin Elagy, vor allem auf eines treffen: Kommunikationsschwierigkeiten! Schon nach wenigen Tagen drohte die dokumentarische Apokalypse, doch Chefreporter Jan Paulin konnte die Gefahr durch das Pflücken sehr, sehr guter Früchte gerade noch abwenden. Über den kompletten Verlauf der Dreharbeiten und wie es ist, keinen Film über Europa zu machen, möchten die drei Redakteure mit diesem Tagebuch berichten.

22. Juli 2006: Anreise der Equipe Paulin

dunadingsdapolaroid01.gif

Während ich um 5.00 Uhr morgens als Erster vor dem Osnabrücker Bahnhof stehe und mir alle vier Minuten den Schlaf aus den Augen reibe, muss ich an den Brief denken, mit dem Kollege Grundorf gestern noch hin- und herwedelte. Auf die Frage, mit welchem Schnittprogramm in Dunaszekcsõ gearbeitet werde, hatte man ihm zurückgeschrieben: „Vielen Dank für die Anmeldung! Wir warten auf euch herzlich! Bis gleich!“ Grundorf selbst wird heute irgendwo bei Walsrode auf der Silberhochzeit seiner zukünftigen Schwiegereltern verweilen und schickt uns deshalb als Speerspitze voraus. Während ich darüber nachdenke, wo Walsrode überhaupt liegt, kommen auch Ressortleiter Europarecht Kalbhenn und unsere Regisseurin Jasmin Elagy am Bahnhof an. Auch wir wollen nicht sofort an unseren Bestimmungsort Dunaszekcsõ, sondern vorher noch die kroatische Hauptstadt Zagreb und einen Tag später das ungarische Pécs besuchen, wo der deutsche Kulturmanager Axel Halling auf uns wartet. Auch von ihm wissen wir noch nicht allzu viel, außer dass er für die Robert Bosch-Stiftung arbeitet und uns in den ersten Tagen etwas unterstützen wird.     
Etwa acht Stunden später befinde ich mich am Flughafen Zagreb. Kalbhenn ist immer noch ganz aufgeregt, weil er am Fenster sitzen durfte, und ihm während des Fluges von der Stewardess das Cockpit gezeigt wurde. „Da waren ganz viele Tasten und Knöpfe, und der Pilot weiß immer, wo er drücken muss“, sprudelt es aus ihm heraus, während ich ihn zur Gepäckausgabe schleife.

dunadingsdapolaroid02.gif

Über Zagreb lässt sich sagen, dass man dort vorzügliche Grillplatten für zwei Personen serviert bekommt, und dass es im Süden der Stadt einen See gibt, an dem man an Wochenenden sehr gut ausgehen kann. Vorausgesetzt, man findet ihn. Team Kommunikaze 1 erkundet auf der Suche nach dem ominösen Gewässer unter Anderem einen kostenpflichtigen Parkplatz, ein totes Bahngleis und eine Baugrube, bevor nach etwa eineinhalb Stunden eine etwas zu groß geratene Strandhütte in Sicht kommt, aus der kroatischer Balkantechno tönt, und die für Osnabrücker wohl am ehesten mit dem Pupasch vergleichbar ist. Redakteur Popmusik und Jugendkultur Kalle Kalbhenn schaut sich in der Menge um und beugt sich dann enttäuscht zu mir herüber: „Hier, äääh... Hotel?“ Eine Bierlänge später sind wir auf dem Rückweg in Richtung Jugendherberge.

dunadingsdapolaroid03.gif

Die ungarische Universitätsstadt Pécs hält am nächsten Tag folgendes für uns bereit: eine vorzügliche Grillplatte für zwei Personen, den Kulturmanager Axel Halling und ein kurzes, aber dennoch höchst interessantes Sightseeing-Programm. Wir bestaunen Kirchen, die früher Moscheen waren, Moscheen, die irgendwann zu Kirchen umgebaut wurden und viele tolle Kuppeln aus der Türkenzeit. Nicht umsonst ist Pécs die Kulturhauptstadt Europas im Jahre 2010, gemeinsam mit Essen im Ruhrpott. Doch viel Zeit für Kurzweil bleibt uns nicht, schließlich muss uns Axel Halling noch nach Dunasecktschõ fahren.
In dem 1600 Einwohner starken Dorf werden wir für die erste Nacht zunächst in einer Art Turnhalle untergebracht in deren Nebengebäude sich auch ein Kinosaal befindet. Dort soll in einer Woche unser Dokumentarfilm über Europa laufen. Doch der muss erst noch gedreht werden, und meine Aufgabe dabei wird es sein, als Moderator vor der Kamera mit den Dorfbewohnern über ihr Verhältnis zur Europäischen Gemeinschaft zu sprechen. Ich muss sagen, dass ich etwas aufgeregt bin, wenn morgen die Dreharbeiten beginnen, aber ich werde das schon schaffen, und wir sind ja auch gut vorbereitet...

weiter...