Die Geschichte vom Mann, der zwei Gerichte kochen konnte

ein Märchen von Sebastian Mann und Michael Weiner

erschienen in Kommunikaze 18, April/Mai 2006

Es war einmal ein Mann, der konnte eigentlich nur zwei Gerichte kochen. Das eine war     Pizza, und das andere hatte er vergessen. Nun wollte er sich eine Pizza zum Mittag backen, doch stellte er Fest, dass er nicht alle Zutaten im Hause hatte. So machte er sich auf, in die nächste Stadt zum Markt zu gehen. Er ging aus seinem Haus, sagte den Blumen in seinem Garten adieu und bog auf die Strasse gen Osten ein. Der Weg führte bald durch einen großen Wald. Auf einer Lichtung saß eine  Amsel auf einem Eichenzweig und sang ihr Lied. Der Mann stellte sich auf die Lichtung unter den Baum und hörte ihr eine Weile zu. Als die Amsel ihr Lied beendet hatte, runzelte der Mann die Stirn und sagte zu ihr: „Den Gesang einer Amsel hat Olivier Messiaen in seinem Stück ,Le Merle Noir’ sehr viel feiner eingefangen. Vielleicht noch ein wenig üben.“

Als der Mann aus dem Wald herauskam, überquerte er eine weite Heide. Da saß am Wegesrand ein Hase mit langen Löffeln und trommelte mit den Läufen kräftig auf den Boden. Der Mann blieb stehen und hörte dem Hasen eine Weile zu. Als dieser sich jedoch aus dem Staub machte, rief der Mann ihm nach: „Die Basstrommel in Bob Sinclair’s ,Love Generation’ findet einen ungleich regelmäßigeren Takt! Nehmen Sie sich das zu Herzen.“
Hinter der Heide lagen grüne Marschwiesen, auf denen ein Zirkus sein Lager aufgeschlagen hatte. In einem Gehege stand ein großer Elefant, der seinen Rüssel hob und trompetete. Der Mann blieb stehen, blickte das graue Geschöpf an und sagte: „Da hören Sie sich zum Beispiel mal Chet Bakers’ Interpretation von  ,Summertime’ an. Technische Genialität und Gefühl gehen dort Hand in Hand. Sie können ja nur laut!“ Er schüttelte mit dem Kopf und ging, sich von dem unverständlich dreinblickenden Elefanten abwendend, seines Weges.

Hinter dem Marschland lag ein Fluss, den eine steinerne Brücke mit drei Bögen überspannte. Der Mann war etwas müde von seinem langen Weg und setzte sich inmitten der Brücke auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an das Brückengeländer und schloss die Augen. Wie er so dasaß, hörte er den Fluss unter sich rauschen und plätschern. Sofort stand er auf, lehnte sich über das Brückengeländer, schüttelte die Faust wider das Wasser und rief entrüstet: „Sie mäandrieren hier doch nur beliebig herum. Welch seichtes Gewisper. Und dabei hat Bedrich Smetana in seiner sinfonischen Dichtung ,Die Moldau’ aus dem Zyklus ,Mein Vaterland’ die Bewegungen eines Stromes voll Verve und klaren Tones wiederzugeben verstanden! Daran sollten Sie sich mal ein Beispiel nehmen.“
Schnellen Schrittes verließ er die Brücke und bald darauf kam er in die Stadt, in der Markttag war. Er ging über den Markt und kaufte ein Pfund Mehl, einige Tomaten und einen Schinken. Da sah er einen Mann verzweifelt an eine Haustür trommeln und den Namen seines Weibes rufen. Das jedoch öffnete im Obergeschoss ein Fenster und begann, Sachen hinauszuwerfen und wüste Beschimpfungen zu rufen. Der gescholtene entschuldigte sich wimmernd, als ihm der Mann auf die Schulter tippte und sagte: „Mein Bester, ihre unwürdige Vorstellung ist kaum zu ertragen. Wenn Sie einmal bedenken, was der große Bob Marley in seinem schönen Lied ,No Woman, No Cry’ besingt, kommen sie hoffentlich recht bald zur Besinnung.“

Auf seinem Weg aus der Stadt hinaus kam der Mann an einer Kirche vorbei, aus der gerade unter großem Geläut eine Beerdingungsprozession zog. In seinem erregten Gemütszustand ob der Unvollkommenheit seiner Umgebung brüllte er die verdutzte Gemeinde an: „Das weinerliche Gebimmel hält man ja im Kopf nicht aus! Haben nicht Metallica in ihrer wegweisenden Komposition ,For Whom the Bell Tolls’ den Zusammenhang zwischen Sein, Vergehen und Glockengeläut hinlänglich dargelegt, als dass man dann zu einem solchen Anlass dieses erbärmliche Geklöter vom Turme spielen muss? Der Verblichene muss sich ja wie im Kasperletheater vorkommen bei solch geballter Unzulänglichkeit.“ Bevor er sich weiter ereifern konnte, wurde er aus dem Stadttor hinaus, über die Brücke, durch die Marsch, über die Heide in den Wald hinein gejagt.

Als er auf die Lichtung kam, auf der er der Amsel zugehört hatte, war er sehr außer Atem. Da kam hinter einem Baum ein finsterer Gesell hervorgesprungen. Er hatte ein Messer in der Hand, das in der Sonne blitzte und verlangte vom Mann die Herausgabe des Schinkens. Doch der Mann rief aus: „Das ist unmöglich. Ich brauche ihn für meine Pizza. Ich kann doch nur zwei Gerichte kochen. Das eine ist Pizza, und das andere habe ich vergessen!“ Da nahm der Räuber das Messer und bohrte es dem Mann in den Bauch, nahm den Schinken und verschwand im Wald. Wie der Mann so auf der Lichtung lag, überlegte er, um Hilfe zu rufen, denn sein Dorf war nicht weit. Aber er dachte bei sich: „ Die Beatles haben sich in ihrem Welterfolg ,Help’ diesem Thema in solcher Vollkommenheit genähert, dass meine Vorstellung sicherlich ein Armutszeugnis wäre.“ So starb der Mann allein auf der Lichtung im Wald.

Weil der Mann aber stets ein guter Mensch gewesen war, kam er an die Himmelspforte und klopfte an. Mit hochrotem Kopf schaute Petrus aus einer vergitterten Klappe in der Tür und brüllte: „Wie können Sie es wagen? Der Papst aller Folk-Barden, Bob Dylan, singt mir jeden Morgen zum Frühstück ,Knocking on Heaven’s Door’ und spielt dazu auf seiner Mundharmonika. Und da kommen Sie und bollern gegen meine Tür? Es ist unfassbar, wie billig doch mancher versucht, Einlass ins Himmelreich zu erlangen.“ Mit diesen Worten knallte Petrus die kleine Klappe zu, dass es nur so krachte.
So endet die Geschichte vom Mann, der nur zwei Gerichte kochen konnte. Und wer’s zuletzt erzählt hat, dem ist der Mund noch warm.