erschienen in Kommunikaze 17, Februar 2006
Wieder ein Jahr älter: Eure liebste Zeitung für facts & fiction geht ins nächste Jahr ihres Bestehens. Ein solcher Geburtstag ist freilich auch immer eine Gelegenheit, auf das Erreichte zurückzublicken. Ganz besondere Filetstückchen haben deshalb Chefarchivar Darren Grundorf und Fachredakteur für Zeitgeschichte und Backen Stefan Berendes für Euch aus dem weitläufigen Kellerarchiv unter der Redaktion an der Alten Münze zusammengetragen.
In der Geschichte einer Zeitschrift läuft Vieles anders als geplant. Leser der ersten Stunde werden sich mit uns an die endlosen Dramen erinnern, als die Redaktion Mitte der 80er in den damals noch besetzten Redaktionsräumen um den Kühlschrank saß und in endlosen, basisdemokratischen Grundsatzdiskussionen etwa darüber debattierte, ob man schon Imperialist ist, wenn man unter die Nussnougatcrème noch eine Schicht Butter streicht. Der Clash of Cultures machte in diesen frühen Tagen die Arbeit nicht nur spannender, sondern oft auch schwieriger.
Aber auch später ging es bisweilen hoch her: Viele Themen schafften es ganz knapp nicht ins Zeitschriftenregal bzw. auf den Mensatisch, sondern lediglich in den Sitzungssaal B-213 des Oberverwaltungsgerichts. Anlässlich unseres Geburtstages präsentieren wir Euch zum ersten Mal exklusiv eine Auswahl jener Ausgaben, die den Druck haarscharf verpasst haben:
Down In The Past
von Darren Grundorf & Stefan Berendes
Ochsengalle und Latrinenflut - Kinski Privat
Ausgabe -33, Oktober 1972
Der Kinski/Herzog-Film Aguirre - der Zorn Gottes „scheint - in all seiner primitiven Einfachheit, in der Konzentration der sehr beweglichen Einstellungen und der Montage auf eine Phase des stärksten Lebens im Angesicht des Todes - Herzogs Vision und Kinskis magische Biographie so sehr miteinander verwoben zu haben, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, alle weiteren Filme [...] seien ein Versuch, diese mystische Einheit noch einmal zu erreichen.“ ( Klaus Kinski - „Ich bin so, wie ich bin“, Mannheim 2001) Das sieht Darren Grundorf genauso und reist zum Interview an den Aguirre-Drehort im südamerikanischen Regenwald. Noch relativ harmlos lässt sich dort das erste Aufeinandertreffen mit Klaus Kinski an, der schon unmittelbar zu Gesprächsbeginn Grundorf attestiert, dieser sei „das eitrige, verpestete Sekret einer rossigen Eselsstute“, derweil er gleichsam spielerisch einem Kapuzineräffchen den Kopf abbeißt. Grundorf schreibt es den nervenaufreibenden Dreharbeiten und den extremen Wetterbedingungen zu. Erst als Werner Herzog stieren Blickes vom anderen Ufer des Totopakatetl aus mit einem rostigen Armeekarabiner das Feuer auf das Interviewteam eröffnet, wird es selbst dem Schlingensief-geprüften Grundorf zu bunt: Ein letztes „Du Hure“ (Kinski) und einige Gewehrsalven ins Unterholz (Herzog) begleiten seine überstürzte Rückkehr in die Zivilisation.
Zielscheibe Soltau - Wie der Terror in den Heidepark kam
Ausgabe -25, Juni 1987
Brandheißer Investigativjournalismus gepaart mit einem Schuss Casino Royal um die Wende der 80er Jahre: Kollege Paulin hat über Recherchen ins Kühlungsborner Rotlichtmilieu Kontakt zu einem Infomanten erhalten: „French-Fries-Olaf“ (Name von der Redaktion geändert) klärt den Kommunikaze-Chef bei konspirativen Treffen in der Tiefgarage unterm Studentenwerk über Ungeheuerliches auf: Der Heidepark Soltau mit seinem liebenswerten Maskottchen Wumbo ist ins Kreuzfeuer internationaler Terroristen geraten. Gerüchteweise lagern im Wartungstunnel unter der Wildwestbahn haufenweise Chemiewaffen -- der Supergau scheint vorprogrammiert, ganz Soltau-Fallingbostel steht unter Schock, und Wumbo hält sich schon mal die Ohren zu. Im evakuierten Freizeitpark kommt es zum nervenzerfetzenden Showdown - und Paulin hält alles mit seiner Fisher Price Unterwasserkamera fest. Leider fällt der Film dem BND in die Hände. Ohne Bildmaterial muss sich der Artikel aus der Luft gegriffene Schmähungen wie „kompletter Schwachsinn“ (Der Spiegel) „Kopfgeburt eines Geisteskranken“ (Die Zeit) und „Superdreiste Psycho-Abzocke“ (Bild-Zeitung) gefallen lassen. Dennoch: Soltau und Wumbo können aufatmen.
Kommunikaze Money-Kochen-und-Backen-Young-Fashion-und Lifestyle.Mit Gimmick.
Ausgabe -15, April 1993
Im trügerischen Zeitschriftenmarkt der 90er tut eine Neupositionierung Not: Allzu sehr hat sich Kommunikaze mit gleichermaßen eigenwilligen wie ambitionierten Portraits von
Ausnahmekünstlern und experimenteller Lyrik einem Nischenpublikum zugewandt. Die logische Konsequenz ist ein publizistisches Komplettpaket: Ausgabe -15 soll neue Märkte erschließen und bietet dabei „drei illegale Steuertricks, 400 pfiffige Backideen und die 100 heißesten Flirt-Locations zwischen dem Sambafranz in Ueffeln und dem Hanky Panky in Bielefeld-Altenhagen“. Doch es soll nicht sein: Probleme beim Druck werfen das visionäre Magazin im Erscheinungstermin weit zurück, und als die Ausgabe endlich fertiggestellt ist, haben Helmut Markwort und seine Chaostruppe aus der Idee schon einen eigenen Zeitschriftentitel gestrickt: Focus bietet zwar nur legale Steuertricks, hat eindeutig die schwächeren Backrezepte und gar keine Tipps über Flirt-Locations, verkauft sich aber dennoch wie geschnitten Brot. Enttäuscht muss Team Kommunikaze den Vorstoß in den Illustriertenmarkt ad acta legen und wirft stattdessen ein Themenheft über Kanarienvögel auf den Markt. Schade drum...
Ausnahmekünstlern und experimenteller Lyrik einem Nischenpublikum zugewandt. Die logische Konsequenz ist ein publizistisches Komplettpaket: Ausgabe -15 soll neue Märkte erschließen und bietet dabei „drei illegale Steuertricks, 400 pfiffige Backideen und die 100 heißesten Flirt-Locations zwischen dem Sambafranz in Ueffeln und dem Hanky Panky in Bielefeld-Altenhagen“. Doch es soll nicht sein: Probleme beim Druck werfen das visionäre Magazin im Erscheinungstermin weit zurück, und als die Ausgabe endlich fertiggestellt ist, haben Helmut Markwort und seine Chaostruppe aus der Idee schon einen eigenen Zeitschriftentitel gestrickt: Focus bietet zwar nur legale Steuertricks, hat eindeutig die schwächeren Backrezepte und gar keine Tipps über Flirt-Locations, verkauft sich aber dennoch wie geschnitten Brot. Enttäuscht muss Team Kommunikaze den Vorstoß in den Illustriertenmarkt ad acta legen und wirft stattdessen ein Themenheft über Kanarienvögel auf den Markt. Schade drum...
Hildegard Knef - Darren Grundorf im Gespräch mit dem Idol seiner Jugend
Sonderausgabe, Juni 2002
Für die Fertigstellung seiner Werkausgabe „Eins und eins, das macht zwei - Hildegard Knef für alle Lebenslagen“ reist Feuilleton-Chefredakteur Darren Grundorf im Frühjahr 2002 eigens nach Paris, um der Grande Dame des deutschen Chansons seine Aufwartung zu machen: Für Grundorf kein Unding, immerhin schwärmt der Jungliterat schon seit seinem 11. Lebensjahr hoffnungslos für „La Knef“ und ihre hinreißende Berliner Schnauze. Das Interview fällt beinahe aus - verursacht durch einen verspäteten Umstieg in Bünde Westfalen (Darren Grundorf). In Paris angekommen dann der Schock: Das Interview fällt tatsächlich aus - nunmehr wegen verstorben (Hildegard Knef). Grundorf leidet über Wochen wie ein Tier, verharrt gar - wie einst Handke - einige Stunden völlig bewegungslos auf dem Place de la Concorde und murmelt dabei ein letztes Knef-Rezitativ: „Doch wenn es aus ist, sollte man gehen. Hauptsache, es war schön.“
Themenheft Backsteingotik
Sonderausgabe, Januar 2006
650 Jahre Backsteingotik, mehr als ein halbes Jahrhundert aufstrebende Träume in Backstein. Welch berauschenderes Jubiläum ließe sich denken? Klarer Fall also, dass der Redaktion eine eigene Sonderausgabe zum Thema ein echtes Anliegen ist: Mit heißem Herzen tragen wir unsere exklusiven Vorschläge zusammen: die schönsten Backsteingotikfassaden auf 12 Farbseiten, ein Starschnitt des Lübecker Holstentors im Größenverhältnis 1:1 und ein vollfarbiges DIN A 0-Poster des Bad Doberaner Münsters... Dumm nur, dass eine solch unverzichtbare Ausgabe nur zum Subskriptionspreis von 25 Euro pro Stück realisierbar wäre. Kassenwart Paulin stellt sich quer, und so müssen wir nun wohl den 700sten Geburtstag abwarten...
Fazit: Auch wenn nicht immer alles so funktioniert, wie geplant: Kommunikaze versorgt Euch regelmäßig mit neuem, außergewöhnlichen Lesestoff -- auch dieses Jahr!
Mehr nie erschienene Ausgaben bald hier auf www.kommunikaze.org
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