erschienen in Kommunikaze 16, Dezember 2005
Nach den Turbulenzen um die Deutsche Fußball-Nationalmannschaft und der Kritik an Bundestrainer „California-Klinsmann“ hat der DFB Anfang November spontan eine Findungskommission mit Franz Beckenbauer (Kaiser), Gerhard Mayer-Vorfelder (DFB-Präsident) und Oliver Bierhoff (auch wichtig) eingesetzt, um für die sich abzeichnende Bundestrainersuche in Zukunft gerüstet zu sein und Klinsmanns Stelle schon mal auszuschreiben. Kurz nach der Pressemitteilung durch den DFB überlegte auch die Kommunikaze-Redaktion, wer wohl am besten diesen Posten besetzen könnte, und schnell stand fest: Sicherlich niemand, den wir kennen. Das sollte aber für die Redaktion noch lange keinen Grund darstellen, nicht am Ausschreibungsverfahren teilzunehmen. Deshalb hat Kommunikaze seinen Ressortleiter Sport, Tobias Nehren, vielen überhaupt nicht bekannt aus seiner aktiven Zeit beim Eisenbahner Turn- und Sportverein Weiche, und Feuilleton-Chefredakteur Darren Grundorf, der noch am ehesten Ahnung von Fußball hat, einfach mal zum Vorstellungsgespräch angemeldet. Nachdem der übliche Anwärter-Kreis um Ottmar Hitzfeld (will nicht), Lothar Matthäus (will unbedingt, darf aber nicht), Udo Lattek (Entziehungskur, verstorben etc.) und Franz Beckenbauer (kann sich nicht um alles kümmern) abgearbeitet war, ergab sich für unsere beiden Helden tatsächlich die Chance, bei der Findungskommission vorzusprechen. Ein Husarenritt, wie sich herausstellen sollte. Mussten sich Nehren und Grundorf doch einen Tag lang unter scharfer Beobachtung den Aufgaben eines Bundestrainers stellen. Hier ist ihr Bericht:
An einem grauen Novembertag betreten wir die Hotel-Lobby des InterConti in Frankfurt a.M., wo uns der große Franz Beckenbauer und der dicke Gerhard Mayer-Vorfelder schon erwarten. „Der Herr Bierhoff kommt auch gleich.“, lässt uns Beckenbauer wissen. Es beginnt ein Gespräch in freundlicher Atmosphäre. Natürlich sind wir nervös, doch das legt sich, als der Kaiser uns das „Kaiser“ und Mayer-Vorfelder einen Schnaps anbietet. Mit den Worten „Entschuldigung, es hat in der Maske ein wenig länger gedauert“, betritt dann auch Bierhoff die Lobby und zeigt uns sein schönstes Blendadentlächeln über alle 32 Zähne. Und da haben wir sie dann alle drei vor uns stehen. Der Kaiser überzeugt allein schon durch seine Anwesenheit und seine „Aurora“ (Beckenbauer über Beckenbauer), und wir sind uns einig: Wichtig kann hier ohnehin nur sein, was der Kaiser sagt. Bierhoff und Mayer-Vorfelder beeindrucken erst einmal nur durch ihren Geruch (Haarspray bzw. Dornkaart). Der taffe Nationalelf-Manager Bierhoff macht uns im Folgenden mit den Aufgaben für den bevorstehenden Tag vertraut: Zunächst wird uns Franz Beckenbauer auf unseren Fußballsachverstand überprüfen, anschließend sollen wir das Training der Nationalmannschaft leiten, um uns zum guten Schluss auf einer Pressekonferenz den Fragen der Sportjournaille zu stellen. Bierhoff hat noch nicht ausgesprochen, da klingelt Beckenbauers Handy. „Ja guat, äh... Lothar, wir haben hier jetzt zwei, die wo jetzt hier für den Posten vorsprechen. Lothar...hä, hä, da müssen wir halt mal abwarten.“, spricht Beckenbauer in sein Handtelefon, um sich dann für die kurze Störung bei uns zu entschuldigen.
InterConti, 11.00 Uhr. Hinein in die erste Prüfungs-Runde. Wir folgen den drei Herren in einen Konferenz-Raum. Der Kaiser marschiert erhaben voraus, während ein aufgeregter Bierhoff an seiner Seite sein bester Freund sein will. Wir gehen ein paar Meter dahinter und schleppen den DFB-Präsident mit uns, dem die Fahrstuhl-Fahrt wohl nicht bekommen ist. Als die Herren dann vor uns sitzen, scheint sich Mayer-Vorfelders Magen wieder beruhigt zu haben, er versucht zumindest zu lächeln und sich zu konzentrieren, wobei wir den Eindruck, man habe ihn kurz vor unserer Ankunft von der Theke eines Frankfurter Puffs weggezogen, nicht loswerden können. Es kann losgehen, wir atmen noch einmal tief durch, Bierhoff fasst sich noch einmal ins Haar, Beckenbauer stellt die erste Frage. Schnell erkennen wir, dass es dabei nur eine Antwort geben kann. „Ja guat, äh...“, beginnt Beckenbauer, „...wer hat die deutsche Nationalmannschaft zum Weltmeistertitel 1974 geführt?“. Nehren: „Äh, der Kaiser?“ „Hä, hä...das ist richtig.“, freut sich Franz. „Und wer hat die deutsche Nationalmannschaft zum Weltmeistertitel 1990 geführt?“ Grundorf ist sich unsicher, doch Nehren antwortet souverän: „Äh, der Kaiser?“ Jetzt will Bierhoff auf auch mal was fragen: „Und wer hat die deutsche Fußballnationalmannschaft zur Europameisterschaft 1996 geführt? „Der Kaiser?“, mutmaßt Grundorf, worauf Bierhoff ein unfreundliches „Nein, ich. Ich war das“ entfährt. „Komm, geh du dir die Haare machen, Olli.“ bellt Nehren zurück, „Hä, hä“, meint Beckenbauer, als dankenswerter Weise das Telefon im Raum klingelt. Die Stimme aus dem Lautsprecher gehört Lothar Matthäus, der noch einmal wissen will, ob er jetzt Trainer werden soll. „Du, Lothar, wir sind hier mitten in der Fragerunde“, erklärt Beckenbauer dem Rekordnationalspieler, der daraufhin „Der Kaiser, der Kaiser.“ in den Hörer ruft. Beckenbauer wimmelt ihn ab. Mayer-Vorfelder ist auf seinem Stuhl mittlerweile eingenickt, wir manövrieren uns fehlerfrei durch den gesamten Fragenkatalog. Beckenbauer („Karl der Große war ein deutscher...?) prüft uns aufs Letzte. Dennoch: Die erste Aufgabe scheint bestanden.
Waldstadion, 12.00 Uhr. Regen, Wind, Bierhoffs Frisur sitzt. Mayer-Vorfelder sitzt auch und zwar oben in der VIP-Lounge, wo er der jungen Bedienung nun schon wieder recht munter zuprostet. Der Kaiser ist gespannt auf unsere Übungsleitung. Wir sollen unsere Praxis-Kenntnisse unter Beweis stellen. Um die Mannschaft, insbesondere Lukas Podolski, nicht zu überfordern, wollen wir zumindest ansatzweise am Klinsmann-Konzept festhalten. Um die Torhüter mit dem Klinsmann-Prinzip der Rotation vertraut zu machen, lassen wir Kahn, Lehmann und Hildebrandt Reise nach Jerusalem mit einem Stuhl spielen. Jens Lehmann scheidet unglücklichere Weise nach sieben Minuten mit einem Kieferbruch aus, nachdem er mit Kahns Faust zusammenstoßen ist. Die Innenverteidigung ist seit ein paar Jahren das Sorgenkind der Nationalelf. Hier gilt es die mageren Qualitäten auszubauen und die vielfältigen Defizite in einer Übung unter einen Hut zu bringen und zu beheben. So bringen wir Robert Huth (groß und stark, aber den Hüftschwung eines Steven Hawking), Per Mertesacker (lieb, nett, Bierhoffs Liebling mit dem Zweikampfverhalten eines Jesus Christus), Christian Wörns ( ein Allrounder - von allem ein bisschen zu wenig), Jansen (kennt kein Mensch, aber talentiert) und Sinkiewicz (hat immerhin einen deutschen Pass) in der rechten Spielhälfte zu einem bunten Zirkeltraining zusammen, das Grundorfs Vorliebe für Schlingensief- Inszenierungen nicht verbergen kann. Das traditionell nicht eben durch südamerikanische Filigrantechnik bestechende Mittelfeld wird mit der Aufgabe betraut, Michael Ballack im Mittelkreis einfach alles nachzumachen (z.B. den Ball hochhalten). Die Übung zeigt einigen Akteuren schnell ihre Grenzen auf. Thorsten Frings zerrt sich beim ersten Ballkontakt die Leiste, Fabian Ernst bricht sich ohne gegnerischen Einfluss das Schienbein und begibt sich in die Obhut von Dr. Müller Wohlfahrt. Der Kaiser betrachtet es mit Wohlwollen, Bierhoffs Haare sitzen immer noch sehr gut, unterbrochen wir das Trainingsprogramm kurzzeitig, als ein nun scheinbar gut gelaunter Mayer-Vorfelder aus der VIP-Loge ein Roland-Kaiser-Lied ins Stadion-Rund ansingt, in dem es um sieben Fässer Wein geht.
Zum Sturm: Bedächtig redet Nehren auf Podolski ein, erklärt was von der Tiefe des Raumes, vom „sich in die Mitte ziehen und vom Gegenspieler lösen“, um dann entnervt mit dem Satz: „Schieß einfach den Ball ins Tor“ vor dem eher schlichten Gemüt seines Gegenübers zu kapitulieren. Unser eigentliches Sorgenkind heißt Kevin Kuranyi, der sich bekanntlich nicht mal den Bart schneiden kann. Für ihn haben wir uns ein Spezialtraining überlegt. Da er selber den Ball nicht im Tor unterbringen kann, buddeln wir ihn bis zur Hüfte am 5-Meter Raum ein, um ihn dann von Asamoah, Schneider und Klose anschießen zu lassen. Ein voller Erfolg. Kevin freut sich riesig, erhöht sich so seine Trefferquote in kurzer Zeit doch auf 95 Prozent. Wir haben ein gutes Gefühl, auch diese Aufgabe bestanden zu haben.
17.00 Uhr, zurück im InterConti – Pressekonferenz. Sorglos nehmen wir neben Beckenbauer, Bierhoff und Mayer-Vorfelder auf dem Podium Platz. Wortgewandt sind wir allemal. Nicht umsonst beschäftigt uns die Kommunikaze in leitenden Funktionen. Links von uns klärt Beckenbauer die Presse über unsere Bewerbung auf, daneben findet sich Bierhoff immer noch sehr gut. Für Mayer-Vorfelder war das „Training“ schon wieder ein wenig zu viel. Erschöpft fallen ihm die Augen zu. Nun aber die Fragen der Sportjournaille. Pitt Gottschalk von der Sport-Bild will eigentlich von Mayer-Vorfelder wissen, ob er glaubt, dass ausgerechnet wir ihn beim DFB unterstützen können. Da der DFB-Präsident aber regungslos im Sessel hängt, geht die Frage direkt an uns. „Ich denke, dass wir Herrn Mayer-Vorfelder nicht nur am Spielfeldrand unter die Arme greifen können“, sagt Grundorf. „Das kann auch schon nach einfachen Fahrten mit dem Fahrstuhl passieren“, ergänzt Nehren. Nach ein paar harmlosen Fragen von Töpperwien, Kerner und Hartmann will es Kicker-Chefredakteur Rainer Holzschuh wissen: „Bevorzugen sie das Raute-System oder eher ein dreistufiges 4-4-2-System in der Kette?“. Nehren weiß zwar nicht die Antwort, kann aber Grundorfs kurzzeitigen Aussetzer „Raute am Arsch, du Kürbiskopf!“ auffangen, indem er ein „Äh, der Kaiser?“ ins Mikrofon haucht. Die Sportfachpresse ist irritiert, von Beckenbauers Seite registrieren wir jedoch ein zustimmendes Nicken, während Bierhoff vor Franz den Finger reckt und ein hastiges „Das wollte ich auch sagen!“ schreit. „Schnaps für alle, ihr Huren!“ dringt es derweil von links. Aha, der Präsident ist wieder wach. Zeit, die PK abzubrechen. Die Findungskommission zieht sich zurück, um sich zu beraten.
Nun sind wir gespannt. Es ist kurz nach 19.00 Uhr als die drei Herren in die Lobby zurückkehren „Hä, hä“, grinst der Kaiser. „Wir haben uns eine letzte Aufgabe für sie überlegt“. Wir sind also noch im Rennen. Dafür geht es nun richtig zur Sache: Nehren muss mit dem Kaiser an die Torwand, Grundorf tritt an der Minibar gegen Mayer-Vorfelder an. In beiden Partien sind die Favoritenrollen klar besetzt. Immerhin gibt der Kaiser Nehren zu bedenken, dass er den sechsten immer verschießt: „Das macht mich a bissl menschlicher“. Grundorf liegt hingegen schon nach zwei Minuten aussichtslos zurück, wobei Mayer-Vorfelder nun erst richtig in Fahrt kommt. Nehren kann durch äußerste Konzentration immerhin bis zum 4:4 mithalten. Beckenbauer erhöht auf 5:4, während er Lothar Matthäus am Telefon versichert, dass der vom Fußballerischen her sicherlich gleich nach ihm selbst kommt, man mit der Entscheidung über den Posten aber noch warten wolle. „Zack! Schon ist Dornkaart weg. Falldari-Falldara!“, grölt Mayer-Vorfelder von der Mini-Bar, wo Grundorf sich schon jetzt an den Magen fasst und mit einem Underberg den Anschlusstreffer zum 7:34 erzielt. Eine Entscheidung bahnt sich an der Torwand an. Nehren hat tatsächlich zum 5:5 ausgeglichen. Wird Beckenbauer sein Versprechen halten? Zurück an der Theke zieht Grundorf die letzte Karte und überredet Mayer-Vorfelder, im siebten Stock nun die Mini-Bar der Präsidenten-Suite zu plündern. Mit letzter Kraft schiebt er den fröhlich wankenden DFB-Präsidenten zum Fahrstuhl. Im siebten Stock angekommen, fällt die Entscheidung auf dem Flur und mit ihr Mayer-Vorfelder wie eine gefällte Eiche zu Boden. In der Lobby verschießt Beckenbauer Schuss Nr. 6 tatsächlich. Nehren, dem die Schweißperlen von der Stirn rinnen, legt sich den Ball zurecht, das Ventil immer nach oben, ein Tipp, den er sich von Mario Basler abgeschaut hat. Ob ihm das hier helfen wird? „Schaffst du nicht, schaffst du nicht“, grient Bierhoff von der Seite, und in der Tat verfehlt Nehren das obere Loch um Zentimeter. „Sag, ich doch, sag ich doch!“, freut sich Oliver Bierhoff, bevor sich ein etwas ungehaltener Ressortleiter Sport der Kommunikaze kurzerhand zu einem siebten Schuss entschließt. Ein sichtlich getroffener Manager der Nationalmannschaft hat danach tatsächlich den Gang in die Maske bitter nötig. Immerhin sitzen die Haare noch sehr gut. Beckenbauer kann seine Enttäuschung nicht verbergen „Des waaar, prakdisch, sehr knopp.“, erklärt er dem völlig erschöpften Nehren. „Aber ein Remis is, ja guat äh… leider noch kein Sieg.“ Nehren bettelt um Gnade: „Aber bitte, Franz! ... Kaiser! Bitte nicht den Lothar“ – „Joa, geh mir weg mit dem Loddar!“ antwortet der Kaiser und wirft sich den Mantel über. Er schreitet gedankenverloren - wie einst durch das Römer Olympiastadion - Richtung Ausgang und schüttelt den Kopf, während er selbstzufrieden eine letzte Frage in sich hineinmurmelt „Wer führte die Deutsche Nationalmannschaft 2010 zum Titel – Der Kaiser der Kaiser, hä hä.“
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