Was wir werden

von Anna Groß

erschienen in Kommunikaze 7, November 2003

Früher haben wir immer überlegt, was denn wohl aus uns wird, wenn wir groß sind. Ich dachte immer, wenn ich groß bin, werde ich alleine leben.
Ich würde keine Kinder haben und keinen Mann. Ich würde als Stewardess arbeiten, ganz viel arbeiten und unterwegs sein.

Ich hätte ein Zuhause, das wäre kühl und ganz sauber, mit hellgrauem Teppichboden. Ziemlich weit oben in einem Hochhaus mit verspiegelter Fensterfront.
An dieser Fensterfront würde ich manchmal abends stehen, zwischen Staudenpflanzen mit großen grünen Blättern, auf dem hellgrauen Teppichboden, in einem eleganten Kostüm mit weißen Nylonstrümpfen und würde nach draußen gucken.

Auf dem Anrufbeantworter wären harmlose, freundliche Nachrichten. Ich wäre freundlich und professionell zu jedem. Ich würde Jazzplatten hören und mal ein Glas dazu trinken und nach draußen sehen.

Ich würde mich ab und zu verabreden und gut essen gehen. Ich würde alleine in den Urlaub fahren und Bildungsreisen machen, in Sommerkleidern und mit einem Strohhut auf und einer großen Sonnenbrille und Bücher lesen, aber ansonsten ganz viel arbeiten.
Solche Frauen werden allerdings immer Opfer von Gewaltverbrechen. Solche Frauen werden immer bei „XY - Aktenzeichen: ungelöst“ als unbescholtene leichte Beute dargestellt.
Wie sie alleine zu ihrer Wohnung gehen, in ihren halbhohen Absatzschuhen, nachts, in einem sandfarbenen Trenchcoat und der Handtasche und dem Haustürschlüssel in der Hand, über den regennassen, im Dunkeln glitzernden Asphalt klackern die feinen Absätze, und zack hat sie einer gepackt und zack, man hört ihren Schrei und man sieht noch das erschreckte Gesicht und dann erst im Plastiksack, im Wald, vier Wochen später wiedergefunden und die Nachbarn sagen, sie war so nett und freundlich. Die Traueranzeige von der Lufthansa: wir haben unsere ausgezeichnete Mitarbeiterin verloren.       
Später meinte meine Freundin, ich würde wohl so werden:

Ich würde in einem Büro arbeiten. Jedenfalls wäre ich so eine Businessfrau und würde auch richtig Karriere machen und sehr gut aussehen. Natürlich immer Kostüme tragen, wo alles zusammen passt, mit Nylonstrumpfhosen und halbhohen Absatzschuhen und Hochsteckfrisur und Perlohrringen. Wenn ich dann nach Hause käme, in mein schickes Appartement, mit Einkaufstüten und meinem Aktenkoffer, würde ich die Tür aufschließen und die Sachen fallen lassen und im Gehen die Schuhe abstreifen, Ohrklips abmachen und die Haare aufmachen. Dabei würde mir eine schreiende graue Perserkatze um die Beine streichen und ich würde zum Kühlschrank stolpern. Die Sachen überall liegen lassen wo ich sie ausziehe und während die Katze noch maunzt, würde ich aus dem Kühlschrank in dem sonst auch nichts drin ist, eine Flasche Weißwein holen und aufmachen und in ein großes Kristallglas gießen, was dieses gluckernde Geräusch macht.
 
Das würde ich erst mal austrinken und dann die Katze streicheln und füttern. Ich würde alle Nachrichten vom Anrufbeantworter löschen, ohne sie vorher anzuhören und mich dann mit der Flasche vor den Fernsehen setzen.

Solche Frauen geraten allerdings oft wegen ihrer unkontrollierten Kaufanfälle, in denen sie wahllos immens teure Prestigeobjekte kaufen, in hohe Schulden. Werden dann in Thailand auf dem Flughafen bei einer Leibesvisitation mit 5 Kilo Kokain im Darm verhaftet und von da an, nur noch vom deutschen Botschafter im thailändischen Frauenknast besucht, wo sie dann lebenslänglich vor sich hinvegetieren. Skorbut kriegen, Zähne fallen aus und man wird Opium süchtig. Die Familie kann sich nur wundern, sah doch alles so gut aus. Schickt Pakete mit Nürnberger Lebkuchen, aber kann es sich nicht leisten sie zu besuchen und abgesehen davon, will ich das auch gar nicht.