Sommerrieseln

von Ines Bethge

erschienen in Kommunikaze 6, Juli 2003

Lindenblüten rieselten auf ihr Haar. Wie gelber Staub. Stunde um Stunde. Oder wie leichter Regen. Setzten sich im Haar fest. Die Sonne stach durch die Blätter und flickerte wie Sommer. Jemand rief. Sie tastete seine Hand, seine große weiche Hand. Er schlief. Lindenblüten im Haar. Es rieselte so, die Lindenblüten, die Zeit, das Denken. Vielleicht. Das meiste war vielleicht. Das meiste klebte zäh in der Trägheit, im dösenden Rausch der Nachmittage.

Die Hunde überschlugen sich im Gras, Schattenspiele im Fell. Die Hitze klebte am Körper, watteweich. Sie musste an irgendetwas denken, aber wollte nicht. Weigerte sich schon seit Tagen (oder Wochen?), die stagnierende Denkmasse in Bewegung zu bringen. Sie wollte nie mehr aufstehen. Wollte im Herbst die Blätter, im Winter die Flocken rieseln hören, im Rieseln versinken. Wollte das Rieseln des Wassers hören, wenn im Frühling der Schnee schmolz und fühlen, wie die Tropfen ihr über die Augen und Arme flossen.

Sie fühlte seine warme, weiche Hand, legte ihre Wange hinein. Kraulte durch seine Haare, fuhr seine Lippen nach. Es war alles vielleicht. Sie wollte im Rausch des Sommers ertrinken, leer dahintreiben, über salzige Haut lecken, dreckige Füße haben. Es sollte kein Danach geben, nicht diese Veränderung, die hämisch aus den Ecken winkte und an sich erinnerte. Kein Weitergehen. Sie wollte hier liegen und in die Stunden zerrieseln, bis sie unter Lindenblüten verschwand, vom trägen Sommerschlund verschlungen. Drohendes Morgen, sie HASSTE diese Gedanken...zuviel...Sie zuckte.

Er wachte auf, lächelte ihr zu, umfasste ihre Hand. Sie weinte. Er barg schläfrig ihren Kopf an seiner Schulter. Sie weinte und Rotz klebte an seinem T-Shirt. Und Lindenblüten. Es war alles vielleicht.