erschienen in Kommunikaze 3, April 2003
Direkt über mir wohnt Frau Schröder. Sie ist die harmloseste Oma, die ich je auf solch wackligen Beinen gesehen habe. Sie ist nett zu den Kindern im Haus. Selbst hat sie keine, das weiß ich. Auch bekommt sie nie Besuch, und selten trifft man sie im Hausflur an. Sie hockt den ganzen Tag oben in ihrem Museum, ist so um die 70, 80, 90 - und was ich eigentlich damit sagen will, ist: Sie macht den Eindruck, als wäre sie eher da gewesen als das Haus, und man hätte letzteres um sie herum gebaut.
Als ich letztens zufällig in ihren Keller schaute, nun, da fragte ich meine Augen so allerhand Sachen. Der ganze Keller bestand praktisch nur aus Holzstücken. Alles wild durcheinander, von der Kellertür angefangen ging es steil hinauf bis unters Fenster an der gegenüberliegenden Seite. Gerade mal am Eingang war noch etwas Platz. Eine freie Stelle, so dass man grad stehen konnte. Deshalb kann Frau Schröder den Keller auch nicht mehr recht nutzen, und ihr Einkaufswagen, den sie beim Einkaufen immer zitternd und in Acht auf jeden Schritt, konzentriert vor sich herschiebt, als suche sie damit Mienen, steht notgedrungen im Kellergang und stört die anderen Hausbewohner. Auch meinem Nachbarn war das aufgefallen. Bald stand er vor meiner Wohnungstür, grinste und fragte, ob ich nicht einmal eine gute Tat vollbringen wolle.
‚Eine gute Tat’, dachte ich und wusste nicht, was ich antworten sollte, stellte mich also scheu aber geistreich und fragte, was er wohl damit meine.
„Na, du weißt doch, das Holz, welches Frau Schröder in ihrem Keller liegen hat,...braucht den ganzen Platz, und wenn man es vernünftig stapelte, gewönne sie viel Platz für ihren Einkaufswagen!“
„Muss ich das machen?“, fragte ich.
„Nein, natürlich nicht, aber Frau Schröder freute sich bestimmt darüber! Glaube ich.“, sagte er. Ich zog ein dummes Gesicht. Warum suchte sich der Typ gerade mich aus? Und warum machte er es nicht selber? An seiner kürzlichen Herzoperation kann es ja nicht liegen, dachte ich und kratzte mich am Hintern. Nun, mein Gesicht verriet meine Gedanken.
„Nun gut“, meinte er daraufhin ,“du sollst auch nicht leer dabei ausgehen! Wenn Du es machst, dann werde ich dir für deine ehrliche Arbeit auch fünfzig Mark geben!“ Einen Moment lang trat Stille ein, dann zwinkerte er mir zu, als ob wir etwas miteinander hätten.
Ich blieb stumm.
„Schon gut!“, meinte mein Nachbar grimmig, „es war ja auch nur eine Idee!“
Wir tauschten noch einiges an Artigkeiten aus, dann schloss ich meine Wohnungstür.
Wenig später kam mein Freund Bruno. Er gehört zu der Art Leute, die nicht besonders viel Scharfsinn verraten, aber stets mein kurzweiliger Rat sind, mir also recht die Zeit vertreiben: heute mit Fußball vor dem Haus.
Der Ball flog nun schon eine ganze Weile hin und her, bis dass Bruno ihn aus Versehen in Richtung Hauswand trat, wo sich das offenstehende Kellerfenster der Frau Schröder befand. Und wie konnte es anders sein, der Ball verschwand in ihrem Keller wie die Maus im Loch.
Bruno wollte sich den Schlüssel von Frau Schröder geben lassen, doch ich hielt ihn davon ab. Ich hielt es für besser, das zu lassen, da ich wusste, dass sie des Nachmittags schlief.
„Einer muss durchs Fenster!“, sagte ich. Bruno ließ die Luft in seinen Mund strömen, dann aber stimmte er kopfnickend zu, als nun geklärt war, dass ich in den Keller kriechen würde. Ich verlor keine Zeit, durchstieg sofort das Fenster und krabbelte in den Keller. Als erstes rutschte ich auf dem hoch übereinander gestapelten Holz aus.
Das war nicht unbedingt eine himmlisch sinnberückende Erfahrung, bei der man ins Schwärmen gerät, was jeder nachvollziehen kann, der schon einmal einen Holzpflock im Arsch hatte.
Aber was soll’s!
„Soviel Holz!“, fluchte ich laut, sah aber schon denn Ball in der Ecke neben der Kellertür. Ich kämpfte mich auf den sperrigen Holzstücken zur Ecke durch und ergriff den Ball. Ziemlich sicher kroch ich zurück ans Fenster und übergab den Ball an Bruno.
„Also, ich muss jetzt auch los, sonst macht der Spirituosenladen zu!“, meinte Bruno, legte den Ball ab und war auch schon verschwunden. Ich machte mich durchs Fenster, und noch halb drin steckend passierte es: Mein Schlüssel glitt aus meiner Jackentasche. Ich wollte noch etwas tun, zog den Kopf wieder ein, sah aber nur, wie er tief in den Holzstapel sank.
Tja, das war nun schlimm!
Ich versuchte, nach dem Schlüssel zu graben, aber war ich tief genug und nahe dran, dann stürzte alles von den Seiten ein, und so grub ich und grub mich in eine Aporie aus Holz.
Mir blieb nichts anderes übrig. Ich fing also, wider meine Natur, tatsächlich noch an und befleißigte mich, die Holzstücke an der freien Stelle am Eingang beginnend zu stapeln. So schuf ich mir immer etwas Platz und kämpfte mich an die hintere Wand, dahin, wo mein Schlüssel liegen musste.
Nun, bald hatte ich dank der systematischen Bemühung etwa die Hälfte des Stapels hinter mir und erblickte meinen Schlüsselbund, wie ich ihn kannte: Doch er lag noch gute zwanzig Zentimeter tief im Stapel. Und so bohrte ich meine Hand vorsichtig durch die einzelnen Holzstücke, um nach ihm zu fischen, doch als ich ihn packen wollte...plink...plink...plink, verschwand er wieder im Holz.
Das hätte nun auch mutvollere Seelen bedenklich gemacht. Aber da half kein Philosophieren: Stupide stapelte ich das Holz weiter und hing dabei meinen Wünschen und Träumen nach. Mittlerweile ging es ganz gut, auch wenn ab und zu ein frischer Stapel wieder in das Geschehen vor mir stürzte, alles in allem kam ich doch voran.
Irgendwann war es nicht mehr viel und endlich: Nach großer Müh und langer Zeit kam ich an meinen Schlüssel und legte auch noch das restliche Holz - es war nicht mehr viel - auf Stapel, als sich hinter mir plötzlich die Kellertür öffnete und Frau Schröder eintrat. Völlig verstaubt und verschwitzt und überdies erschrocken schrie ich sie laut an.
„Guten Tach!“
Frau Schröder gebrach die Wahrnehmung. Das Geäst unter ihrem Hintern hielt nicht mehr länger, sie begann zu schwanken. Ich hielt sie, während sie anfangs um Hilfe schrie, später zu Gott betete. Ich wollte sie beruhigen, aber das ging nicht so schnell.
„Ich bin es doch, ich!“ Und erst nachdem ich dreimal auf meine Fratze gedeutet hatte, betrachtete sie mich genauer. „Aber was machen Sie hier in meinem Keller?“, japste sie. Ich wollte ihr gerade erklären, dass der Fußball,...also ich meine, dass ich doch den Schlüsselbund verloren hatte, aber dazu kam ich nicht mehr, denn nun fiel ihr das sauber gestapelte Holz ins Auge, worüber sie wieder Fleisch und Blut annahm.
„Mein Gott, Sie haben ja das ganze Holz gestapelt!“, schüttelte sie den Kopf und war über das Lebhafteste betroffen. „Was für ein lieber Mensch Sie doch sind! Stapeln mir hier das Holz und dann auch noch heimlich! Wollten mich überraschen, was?“ Ich kam nicht mehr zu Wort. „Kommen Sie mit, junger Mann!“, befahl sie, packte mich am Arm und zerrte mich durch den Hausflur.
Ich wurde nervös. „Frau Schröder, Frau Schröder..“, sagte ich, ...es hat keine Not...!“
Jedoch war ihr Wille unbeugsam.
Also gingen wir zu ihr in die Wohnung hinauf und sie kochte mir - gegen meinen Willen und den Hinweis, dass ich eigentlich Bier bevorzuge - einen heißen Kakao und streichelte mein Haar.
Irgendwann war ich frei und traf des Abends meinen Nachbarn im Hausflur. Die fünfzig Mark, die er mir für meine ehrliche Arbeit hinhielt, wies ich von mir. Da kniff der Kerl die Augen zusammen und kratzte sich die Stirn: „Ich habe es gewusst, tief im Innern bist du ein netter Kerl! Das denkst du doch auch, oder?“
Ich fragte ihn im Gegenzug, ob ihm das Wort „Gesülze“ etwas sagt, schloss die Tür und schlief an diesem Abend tatsächlich gut ein.
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