Der Egoist

von Katharina Kunze

erschienen in Kommunikaze 2, Februar 2003

Der Philosoph schrie laut und schrill.
Dies freute die Mutter trotz Schmerzen
Endlich war er da, das Bemühen vorbei.
Acht lange Tage zu spät war er erschienen.
Denn er wollte selbst entscheiden, wie sein Leben verläuft.

Er lebte wie jedes Kind seiner Zeit
Nur mit viel mehr Blessuren
Denn an die Regeln der Physik
und der Justiz konnt’ er nicht glauben.
Denn er wollte selbst entscheiden, wie sein Leben verläuft.

Später erkannte er, dass Konkurrenz,
Druck und das böse Geld
Jede Seele verdorren lassen
Und lebte fortan auf der Straße.
Denn er wollte selbst entscheiden, wie sein Leben verläuft.

All seine Freunde wurden bald Eltern
Das machte ihn zum Eremiten.
Als er sah, dass sich das schwer ändern lässt,
beschloss er, die Menschheit zu ächten.
Denn er wollte selbst entscheiden, wie sein Leben verläuft.

Im reifen Alter überkam ihn die Angst,
Dass da etwas wäre, das sich seinem Einfluss entzöge
Ein Ereignis, das sein glückliches Leben zerstöre
Und darum tötete er sich noch in der selben Nacht.
Denn er wollte selbst entscheiden, wie sein Leben verläuft.

Wenn heute der Philosoph besprochen wird
Gilt er als Beispiel für einen Menschen,
der der Gesellschaft die Alternativen aufwies
und jeden von uns gern vor sich selbst hätt’ gerettet.
Angeblich wollte er uns zeigen, wie das Leben besser sein kann.