Le Malpensant geht zum Bürgeramt

von Sven Kosack


erschienen in Kommunikaze 19, Juni 2006

Du bist Deutschland! Du bist 80 Millionen! Du bist der Sturm, zusammen können wir alles erreichen! Deutschland ist schön! Es gibt sogar Erdinger Plörre hier! Und auch ansonsten ist es total megacool, Deutscher zu sein und ein Teil dieser großartigen Nation! Ich sehe das anders, denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben!


Deutscher sein heißt für mich vor allem, von der deutschen Bürokratie verwaltet zu werden. Ach, was heißt Bürokratie? An und für sich sind das auch Menschen, die wie die Oma oder die Freundin ab und zu mal von einem besucht oder angerufen werden wollen. Leider sind diese Menschen, die da in der Stadtverwaltung arbeiten, so farblos, dröge und verbeamtet, dass nun wirklich kein normaler Mensch mit ihnen zu tun haben möchte. Wie also dem Dilemma entgehen? Richtig, man zwingt die Leute einfach, einen zu besuchen! Und so flatterte mir schon fünf Tage nach meinem Zuzug nach Osnabrück ein Brief vor die Türschwelle, der mich aufforderte, Mitglied im großen Club der GEZ-Zahler-Idioten zu werden, damit ich so tolle Sendungen wie das Frühlingsfest der Volksmusik, die Klinik unter Palmen mit Wussow (kennt die ARD denn keinen anderen Arztdarseller?) oder die 187. Folge von Wetten, dass…? mit Thomas Gottschalks witzfreien Anekdoten finanzieren kann. Zum Glück kümmerte sich der Hamster meiner kleinen Schwester rührend um den Brief und verarbeitete ihn zu Hamsterkackestreu. Doch hatte auch das Bürgeramt Sehnsucht nach mir und schrieb mir einen Brief, in dem sie mich aufforderten, meinen Wohnsitz an der Hasemetropole anzumelden und bei Gelegenheit auch gleich meinen abgelaufenen Perso zu erneuern. Seufzend packe ich also Tolstois Krieg und Frieden in Erwartung auf eine etwas längere Wartezeit in die Tasche und mache mich auf den Weg.


Was nun die Manager des Remarque-Hotels bewogen haben mag, ihr Edelhotel direkt neben dem tristesten Gebäude Osnabrücks aufzubauen, wird wohl ewig im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben. Ebenso wie die Frage, ob die Stadtverwaltung beim Umzug in das ehemalige Hospital auch direkt einige Patienten aus der Geschlossenen zur Auffüllung ihrer Schreibtische zweckentfremdet hat. Sicher ist nur eines: Die Atmosphäre des Bürgeramtes ist deprimierend. Wenn es den größtmöglichen Gegensatz zum Karneval in Rio de Janeiro geben sollte, hier wird man Anschauungsmaterial finden: Frühpensionäre sitzen BILD-Zeitung-lesend in der Eingangshalle, ein paar zerfledderte Osnabrücker Nachrichten liegen auf Wartebänken. Eine Frau sitzt in einem Glaskasten, der den Observationsplattformen der Wachtürme an der deutsch-deutschen Grenze nachempfunden ist, und wenn man dann zum Bürgeramt selbst geht, trifft einen das Grauen in seiner ganzen Härte. Um die Warteschlangen, die sich aus dem eigentlichen Bürogebäude bereits herausstauen, milde zu stimmen, hat ein Agrarökonom einige lustige Schautafeln mit Kühen aufgehängt. Der Zusammenhang mit Einwohnermeldeamt wird nirgends erklärt. Ein Nebenbüro wurde extra in eine Brötchenschmiede umgewandelt, um allzu viele Abgänge in der Bevölkerungsstatistik durch Verhungern abzumildern.


Betritt man aber die Hallen des Bürgeramtes, so schlägt einem der pure Horror entgegen. Kaum hat man sich auf einen der Stühle im Wartebereich gesetzt und sich eine Nummer gezogen, so starrt man schon verdutzt auf die Anzeigentafel mit den Wartenummern: Serving number E 75. Der Zettel in meiner Hand heißt J 03. Zum Glück ist das System der Kundennummern hier so undurchsichtig wie das Punktesystem im Tennis, und so komme ich schon nach nur einer Stunde Wartezeit (nach Q 52, µ92 und @01) dran. Was mich aber beim Warten rasend macht, ist zweierlei: Erstens liegen auf einem Tisch verschiedene Spielzeuge, mit denen die quengelnden Blagen beruhigt werden können. Leider ist es völlig unbrauchbar, denn dem Plastikparkhaus fehlen die Autos, dem Puzzle die Hälfte der Steinchen, und die Malbücher sind von einem grobmotorischen Kind mit einem schwarzen Wachsmalstift überkrakelt worden. Die so ihrer Tätigkeit beraubten Rotzlöffel ergehen sich folgerichtig in – eben – Quengeln. Das wäre ja noch erträglich.


Komplett unerträglich wird es aber durch den Passbildautomaten, der aus dem Hintergrund nervt: „Hallo, wollen sie ein Bild haben?“, fragt eine elektronische Stimme unaufgefordert und mit nerviger Penetranz. Steigt tatsächlich mal jemand in den Kasten, so tönt es: „Schön, dass sie ein Foto machen wollen. Bitte gucken sie in das Fenster und lächeln sie.“ Es blitzt. „Sind sie zufrieden mit ihrem Bild? Wenn ja, dann drücken sie den grünen Knopf, wenn nein, dann drücken sie den roten Knopf.“ Da niemand mit einem Foto aus einem Passbildautomaten wirklich jemals zufrieden sein kann, wird natürlich der rote Knopf gedrückt. Die Stimme fängt wieder an: „Schön, dass sie ein Foto…“. Wird tatsächlich mal ein Bild ausgewählt, so kommt der komplett überflüssige Satz: „Danke für ihren Besuch. Die Fotos werden außen an der Maschine ausgegeben.“ Ja ach nee! Wer hätte gedacht, dass die Fotos aus der Maschine kommen und nicht etwa aus dem Briefkastenschlitz von Frau Bäumler in Meschenich?


Endlich komme ich an die Reihe. Mit enervierender Langsamkeit  füllt die Fachkraft den Bogen zur Antragstellung auf die Bearbeitung der Eingabe um die Ausstellung eines neuen Dokumentes zur Bezeugung der Identität aus, um sich ein wenig an meiner Gesellschaft zu erfreuen. Nach drei Minuten Tippen im PC und einer hingekrakelten Unterschrift darf ich für diese „Dienstleistung“ 30 Euro berappen und werde von einer Woge der Dankbarkeit dahingespült, Bürger dieses Staates sein zu dürfen. Zumindest für vier Jahre, denn dann läuft der Perso wieder ab. Und bis dahin überlege ich, nach Guinea oder Tongo auszuwandern, wo man bestimmt noch keine Personalausweise und hoffentlich auch keine sprechenden Passbildautomaten kennt. Beim Verlassen des Bürgeramtes fülle ich dann noch 3 Karten mit Beschwerden aus und trolle mich dann zum nächsten Schritt in das Ausland und die Emigration: Das Erasmus-Büro der Universität!