Le Malpensant geht durch seine WG

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 17, Februar 2006

Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“ So steht es zumindest in der Bibel. Und  natürlich gilt diese Maxime auch in der Uni. Ist es nicht schöner, gemeinsam zu Seminaren zu gehen und abends behaglich zu kochen und versammelt bei einem Bierchen den Tag ausklingen zu lassen? Nein, ist es nicht. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben!

Morgens, 9:00. Entspanntes Erwachen. Ich steige aus dem Bett und schlurfe zum Bad. Jetzt erst mal eine heiße Dusche und danach einen starken Kaffee. Leider ist die Dusche besetzt von meinem Mitbewohner. Ich drehe ihm erst mal das Heißwasser ab und gehe in die Küche. Natürlich begrüßt mich dort ein riesiger Berg unabgespülten Geschirrs. Ich grüße zurück und beschließe, auf Pappgeschirr umzusteigen. Doch der Reigen der Klischees geht weiter, sobald ich den Kühlschrank aufgemacht habe: Eine Geruchswolke, schlimmer als Douglas mal Frittenbude, schwappt mir entgegen und ich extrahiere mühsam verschimmelte Kühlschrankdichtung, Käse vom letzten Jahr und eine Tupperdose mit Saucenresten, die eine von meinen beiden Mitbewohnerinnen seit einem Monat aufbewahrt wie eine Reliquie.

Ich greife mir einen Joghurt und  mache mir eine Tasse Kaffee, und setze mich vor den Fernseher, wo ich, wie jeder andere Student dieser Welt wohl auch, mich durch die Kanäle zappe auf der Suche nach etwas halbwegs Interessanten. Vergebens. Statt dessen kommt mein frischgeduschter Mitbewohner in weniger frischen Boxershorts und Unterhemd in die Küche, fingert sich eine halbwegs saubere Tasse aus dem Abwaschberg, schenkt sich einen Kaffee ein, dreht den Stuhl um und setzt sich breitbeinig auf ihn. „Scheißdusche, immer ist das Heißwasser kaputt“, sagt er. Ich grunze etwas Bestätigendes zurück. Wir trinken einen Schluck Kaffee und erinnern uns an die letzte Kommunikaze. Beinahe fühlen wir uns wohl. Es ist herrlich, als Mann ungewaschen in halbverwesenden Klamotten in der Bude herumzuspazieren und grunzend bei einer Tasse Kaffee zusammenzusitzen.

Doch da geht die Küchentür noch einmal auf und unsere Mitbewohnerinnen Kathrin und Birte kommen herein. „Puh, was sieht das hier denn aus“, ruft Kathrin aus, und lässt offen, ob sie uns, den Abwaschberg oder die Klamotten des Moderators im Frühstücksfernsehen meint. „Lass’ mal einen Putzplan aufstellen“, schlägt Birte vor, „und dann glänzt die Bude am Nachmittag.“ Holger und ich seufzen. Doch die Mädchen sind bereits begeistert und eifrig an der Planung: „Und Malpi kann die Regale in der Küche abstauben, während Holger den Flur staubsaugt.“ Holger und ich gucken uns an. Zum Glück wissen wir beide, wie die Sache ausgehen wird: Wir werden uns mit der Ankündigung, jetzt erst mal die Post reinholen zu müssen, aus der Küche stehlen und die Mädels, die erst einmal in einem Putzrausch sind, unseren Kram direkt mitmachen lassen.

Ich verkrieche mich in meinem Zimmer unter den Charles-Manson-Postern und bastele unter gelegentlichem Kichern an meinen Kuchen mit Senffüllung und Klingelton-Jingles, mit denen ich die Menschheit terrorisiere. Da klopft es an die Tür. Es ist Birte: „Du, Malpi, also, ich finde es echt nicht so gut, dass Du die Klobrille immer so oben lässt. Lass’ mal ein Problemorientiertes Gespräch darüber führen heute abend. Schön bei Matetee und Gebäck.“ Ein problemorientiertes Gespräch! Auch das noch! Die POGs wurden von den Hippies Anfang der 70er erfunden, um weniger Bekloppte in den Wahnsinn zu treiben. Ich schiebe Birte nach draußen und schließe die Tür. Ich will meine Ruhe haben! Doch die gibt es in WGs prinzipiell ebensowenig wie Duschen ohne verschimmelte Duschvorhänge. Schon steht Holger vor der Tür. „Du, Malpi, ich wollte Dich fragen, ob Du Lust hast, nachher ein wenig vom Lernen auszuspannen bei einem Sixpack Oettinger-Pils. Ich verneine und schiebe auch ihn hinaus. Klopf-Klopf. Kathrin. „Du, Malpi, hast Du meinen grünen Slip gesehen? Ist der vielleicht in Deine Wäsche mit reingeraten?“ Ja sicherlich. Fällt ja auch keinem auf, einen grünen Damenslip in seinem Kleiderschrank zu verstauen. Ich knalle ihr die Tür vor der Nase zu. Doch schon höre ich aus Holgers Zimmer nebenan die neue Franz Ferdinand-CD auf voller Lautstärke zu mir rüberschallen. Ich bin entnervt. Ich plündere die WG-Kasse (7,12 Euro in Zehn-Cent Münzen drin), ziehe aus und breche auf zu neuen Ufern. Und beim nächsten Mal gehe ich ins Osnabrücker Bürgeramt, um mir meinen Perso verlängern zu lassen.