Le Malpensant geht ins Café

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 16, Dezember 2005

 

Endlich eine Freistunde. Ich habe keine Seminare mehr für zwei Stunden und beschließe, mich in ein Café in Uninähe zu setzen. Um mich herum süßer Kaffeeduft, Tische in warmen Holztönen und eine Theke, hinter der mich eine freundliche Serviererin anlächelt. Ich blicke grimmig zurück. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben.

Wenn man in ein Café geht, muss man damit rechnen, sich aufzuregen. Das ist so normal wie der Regen in Osnabrück. Das beginnt schon mit dem Betreten dieser Lokalität. Denn üblicherweise stellt man schon nach dem Betreten eines Cafés fest, dass alle Plätze besetzt sind mit Studenten, die bei einem Milchcafé über ihre letzte heroische Leistung bei der Präsentation irgendeines überflüssigen Referates räsonieren. Für mich bleibt nur ein Platz am Ende des Cafés übrig, wo sich - ein antikes Naturgesetz befolgend - auch immer die Toiletten befinden müssen. Ich setze mich trotzdem und werfe einen Blick auf die Tafel, auf der in enervierender Schönschrift das aktuelle Giga-Tageshappening notiert ist, das seltsamerweise immer aus einer italienischen Vokabel und einem Unterstützungswort bestehen muss: Tagliatelle frittata für 4,90,- sowie Schweinebauchspeckschnitzel Caprese für 6,90,-.  Zum Glück liegen auf dem Tisch akkurat auch Speise-, Eis- und Wochenangebotskarte nebeneinander. Highlight der Woche sind die „Grünkohlwochen im Café Rumpelstilz“ mit Gerichten, die sich eigentlich nur aus Grünkohl, Wurst und Kassler verschieden zusammensetzen. Tough luck. Ich werfe einen Blick auf die Getränkekarte.

Unglaublich, welche Mutationen die gute alte „Tass Kaff“ für zwomarkfuffzich hingelegt hat. – Die Marketingfuzzis der Deutschland-Verblöde-AG haben innerhalb von 5 Jahren an die zehn verschiedenen Methoden, Kaffee und Milch unterschiedlich zu mixen, mit verschiedenen Namen gekreuzt, sodass sich der Juppie von heute locker zwischen Kaffee, Espresso, Espresso doppel, Milchkaffee, Café au lait, Cappuchino, entkoffeiniertem Kaffee, Kaffee Latte, Espresso Macchiato, Ovomaltine und der Juppie-Albernheit schlechthin, dem Latte Macchiato entscheiden kann. Letzteres ist ein Glas Milch, in das Kaffee und dann wieder Milchschaum gehauen wird. Das Resultat sieht aus wie braunes Pfützenwasser in zwei Lagen aus Waschmittelschaum, schmeckt genau so wie jeder andere Milchkaffee auch, kostet aber locker das Dreifache. Und da diese Kombinationen immer noch nicht ausreichen, gibt es jetzt auch vermehrt verschiedene zuckerklebrige Sirups, die man optional zumischen kann, damit die Tasse Kaffee dann so viel kostet wie die Monatsrate für einen Mittelklassewagen.

„Kann ich dir was bringen?“, fragt die rehäugige Kellnerin, die inzwischen an meinen Tisch getreten ist. „Für dich immer noch „sie““, knurre ich und bestelle eine Tasse Kakao. Beleidigt zieht sie von dannen, und so habe ich Gelegenheit, mir das Publikum ein wenig genauer zu betrachten. Vor allem begeistert mich der Kaffeehausintellektuelle: Mit einer Packung Gitanes drückt er seine Individualität aus, während er lässig eine Zeitung, die es nirgendwo sonst gibt, liest, etwa Le Monde Diplomatique, den Rheinischen Merkur oder die New York Times. Dazu steht ein kalt werdender Tee vor ihm auf dem Tisch, und über seine Nickelbrille wirft er immer wieder Blicke durch den Raum, mit denen er hektisch abschätzt, ob die übrigen Gäste etwa schon durchschaut haben, dass er kein Wort kapiert von dem Gesalle in der Zeitung. Immer wieder gern gesehen in Cafés sind auch die „besten Freundinnen“. Diese Hennenschar gruppiert sich gewöhnlicherweise gerne um einen probiotischen Mate-Tee und tauscht geistfreies Geschnatter aus, um sich langsam aber sicher vorzubereiten auf ihre zukünftige Rolle als fette Hausfrau, die sich mit Nachbarinnen und abgespreiztem kleinen Finger zum Kaffeeklatsch trifft. Ebenfalls immer häufiger sieht man Herrn Larmann und die Idioten von der Kommunikaze-Redaktion, die auch noch zu blöd und faul sein werden, diesen Satz hier herauszuredigieren, beim Interview-Halten.

Oder man begegnet dem Klassiker schlechthin: dem erfolglosen Azubi der guten alten Rauchercafete. Der  hat sich wie ehedem seinen Stammplatz gesichert, quarzt pro Viertelstunde eine Packung Rothändle filterlos weg und starrt ansonsten stumpf wie ein Gorilla mit Gesichtslähmung im Raum herum, ob nicht irgendwelche der schnatternden Hühner am Nachbartisch Lust auf ein wenig unverbindlichen Geschlechtsverkehr hätten. Dass diese Hoffnung seit etwa 10 Jahren regelmäßig enttäuscht wird, stört ihn nicht die Bohne. Irgendwann werden sie schon kommen. Denn er hat eine unschlagbare Geheimwaffe, die ihn unwiderstehlich macht: Seit 5 Jahren war er nicht beim Friseur und so denkt er, dass seine strähnige Guildo-Horn-Frisur ihn tough wie einen echten Rock-and-Roller oder wenigstens niedlich wie Legolas aus dem Herrn der Ringe aussehen lässt.

Endlich kommt der Kakao. Während ich ihn trinke, läuft im Hintergrund die U2-CD bereits zum 2. Mal durch, und das auch nicht zum letzten Mal heute. Am Rande der Theke sehe ich Zeitschriften aus dem Lesezirkel, daneben eine abgegriffene Kommunikaze. Ich räsoniere, wie lange es wohl dauern wird, bis unsere kleine Postille ebenfalls in Zahnarztpraxen neben dem Goldenen Blatt und in Bahnhofsbuchhandlungen neben der Happy Weekend zu finden ist. Vom Format reichen wir jedenfalls schon fast heran.

Die Kellnerin guckt zu mir rüber. Ich gucke grimmig zu ihr zurück, Guildo Horn flirtend. Beide winken wir sie zu uns. Sie steuert zuerst auf den Rauchercaféten-Azubi zu, doch als ich einen 5-Euro-Schein zücke und nich einige Münzen dazulege, schwenkt sie schnell mit einem nassforschen Sekretärinnen-Lächeln zu mir herüber, um mich abzukassieren. Als sie vor mir steht und "2,30,-" flötet, packe ich das Geld   wieder ein und lege ihr den Betrag aufreizend langsam in Kupfermünzen auf den Tisch. Ohne Trinkgeld, dafür aber mit einem fröhlichen „stimmt so“, versteht sich. Dann verlasse ich das Café. Wie schön, jemandes Tag so richtig schön versaut zu haben! Und beim nächsten Mal erzähle ich Euch, was ich in meiner WG so erlebt habe.