Le Malpensant geht zur Maiwoche

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 14, Juli 2005

Kaum, dass sich der Winter aus unseren Gefilden verkrümelt hat und nun die Australier mit Schneeballschlachten erfreut, kommt der Frühling. Er unterhält die Menschen mit Blumen, Blattgrün und Vogelgezwitscher, während ich das Kommen des Osnabrücker Sommers dadurch bemerke, dass der Regen ein wenig wärmer geworden ist. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben.

Sobald der Frühling sich aber erst mal durch seinen Ich-weiß-noch-nicht-so-richtig-was-ich-aus-mir-machen-soll-Monat April gewurschtelt hat und sich dann doch für ein bisschen Sonne, Wärme und Kurs auf Sommer entschieden hat, machen die Osnabrücker ihn direkt wieder kaputt, indem sie einfach ein riesengroßes Freiluftbesäufnis abhalten, die Maiwoche.

Großartig. Man sperre einfach die Fußgängerzonen der Stadt für ein paar Tage ab, gruppiere ein paar Kisten und Stehlampen zu Bühnen zusammen, stelle darauf ein paar Musiker und viele Bierwagen drum herum und lasse das Volk anrollen, damit es sich die Birne pelzig saufen kann. Soweit die Theorie. In der Praxis musste man an diesem Plan ein paar Abstriche machen, weil weder Robbie Williams oder Madonna noch Ralf Siegel Zeit fanden für einen Livegig in der Weltstadt Osnabrück. (Ja-ha, lieber Leser, Du schmunzelst, aber hey, wir sind auf dem besten Wege, Bundesgartenschaustadt 2010 und Europas Kulturhauptstadt im Jahr 2421 oder so zu werden!) Da musste man eben Künstler der näheren Umgebung verpflichten. Das sind dann so namhafte Gruppen wie Les compagnons de l’Aubance, Black Milk oder das Jugendorchester des Klosters Oesede.

Ebenfalls namhaft sind die Namen, die die Organisatoren für die Bühnen gefunden haben. Schmücken sich andere Festivals mit Bühnennamen wie „Rote/blaue/gelbe Bühne“ (Rheinkultur in Bonn) oder „Centerstage/Suzuki Alternastage“ (Rock am Ring), so haben die Kreativköppe für Osnabrück Namen wie buw-Goldrush-Bühne oder Elektrolurch-Bühne erfunden. Diese sympathische Provinzialität gerät aber vollkommen ins Lächerliche, wenn die Performer nun versuchen, die Gesten der Großen nachzuahmen. So gerät das „put your hands up in the air“ in seiner deutschen Version ein wenig bieder, und auch „Is there anybody from out-of-town/county/state“ verliert bei seiner Adaption ein wenig. Das alles sind allerdings stilistische Feinheiten, die den Künstler nicht zu interessieren scheinen, wenn er mit heiserer Stimme auf der Bühne umherspringt und periodisch die 10 tanzenden Fleischereifachverkäuferinnen mit Dauerwelle mit Sprüchen wie „wo sind eure Hände? Ich will eure Hände sehen! Ihr seid ein tolles Publikum, hier in… äh… Osnabrück!“ zu animieren sucht. Ebenfalls toll ist es, wenn gefragt wird, ob irgend jemand aus Rheine (ui!), Bersenbrück (uiui!) oder gar Löningen (wow!) kommt. Wenn jemand auf die letzte Frage mit „ja“ antwortet, kann er sicher sein, für diesen Abend der „heißeste unter unseren tollen Fans zu sein, die sogar bis aus Löningen zu unseren Auftritten anreisen.“ Ja genau. Ich fahre auch immer nach Griechenland, nur weil da eine Lala-klimpernde Dorfband in der Kneipe aufspielt. Und auf die Maiwoche kommt ja auch keiner zum Besaufen, die wollen alle nur Philipp Boa und Pamela Falcon sehen.

Mein absoluter Favorit der Sinnlosigkeit unter den Anfeuerungsrufen ist aber: „Seid ihr noch da?“. Wen hätte es da nicht schon mal im Finger gejuckt, „nein, nein, ich bin schon im Bett und schlafe“ zu antworten? 

Lasst mich zum Abschluss noch einige Worte zu den lukullischen Genüssen verlieren, die einem von dem fahrenden Volk geboten werden. Frittiert enden talgige Tierkadaver in Garküchen, und naschhafte Dickwänste schlemmen alles leckere Zeug in Gierigkeit. Wer den tieferen Sinn hierin sucht, sollte sich dem Anfangsbuchstaben zuwenden. Wer nicht, ist ein durchaus offener Optimist für erfreuliche Stunden, attraktiv, reich, sympathisch, charakterlich hervorragend, liebenswert, ostentativ charmant + hochgeschätzt!