Le Malpensant geht auf den Weihnachtsmarkt

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 8, Dezember 2003

Freunde, es ist wieder einmal soweit. Weihnachten steht vor der Tür.  Der Duft von Lebkuchen und würzigem Glühwein lockt einen jeden von uns auf den Weihnachtsmarkt. Glückliche Menschen mit leicht rosigen Bäckchen hören süßen Kindern zu, wie sie ,Oh Tannenbaum’ auf der Blockflöte spielen, während von oben herab der erste Schnee fällt.“, so versuchte mich ein Werbeanschreiben in die Stadt zu locken. Zwecklos, denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben!

Von wegen Lebkuchen und Glühweinduft! Das ist doch derselbe Nepp wie jedes Jahr! Zuerst futtern sich die frustrierten Doofköppe mit schokoladengepanzertem Lebkuchen, zuckerglasierten Mandeln oder in Fett gebackenen Krapfen die Plautze wölbig, dann kriegen sie einen hysterischen Heulkrampf vor dem Badezimmerspiegel, fressen aus Frust noch ein Pfund Spekulatius weg und blähen anschließend mit jedem Pups die Bude mit Korianderdurft voll. Lecker. Um diesem Duft dann zu entkommen, flieht man auf den Weihnachtsmarkt, wo man einen fetten Kerl in roter Joppe mit struppigem Bart und Schnapsnase sieht, neben dem man sogar noch eine ganz gute Figur macht. „Juppheidi, wenn ich neben dem Typ stehenbleibe, wirke ich sogar richtig attraktiv, und ich bekomme bestimmt jede Menge Telefonnummern zugesteckt!“, denkt sich der Schwachmat und bleibt wie festgetackert neben dem Sozialwissenschaftsstudenten im Weihnachtsmannkostüm stehen. Klar, das wird irgendwann kühl, denn die wunderschönen und kopulationswilligen Mitmenschen lassen sich unverständlicherweise Zeit mit dem Zustecken von irgendwelchen Nummern. „Am besten, ich saller mir erst mal ein Frostschutzmittelchen in die Rübe, höhöhö!“, denkt sich Freund Grenzdebil und bestellt sich einen Glühwein. Oma Trude kippt also einen Tetrapack Rotwein innen Topp, tut ein Kilo Zucker, eine Flasche Rum und eine Orange dazu und macht das ganze gut heiß. So leicht sind die Normaldoofen zufriedenzustellen. Für die Profidoofen braucht man schon „Probiotischen Diätglühwein“. Das ist derselbe Scheiß, nur statt Zucker mit Süßstoff und zwei Euro teurer.

Und hier nun komme ich ins Spiel. Von einer Laune des Schicksals getrieben (mein Hosenboden platzte beim Referat vor 200 Studenten und mein letzter Joghurt konte mir  heute morgen, als ich den Kühlschrank öffnete, schon leichte Fragen beantworten) wurde ich zum Einkaufen gezwungen, und just als ich über den Markt schlendere, torkelt mir Freund Nervenarsch hackeblau in die Arme und lallt mich voll, dass er mich supergern hätte und ein frohes Fest wünschte. Ich wünsche ihm zum Weihnachtsfest, genau wie Dir, die Beulenpest und gehe weiter. Einkaufen ist ja angesagt für mich.

Also auf zu H&M, wo mir eine Hose mit in die Umkleide nehme. Die Umkleiden sind ja so praktisch! Mit den schönen Bullaugen stehen die direkt auf einer Stufe mit den Saloonschwingtürkabinen bei JP und den unschließbaren Vorhängen bei Kaufhof. Öffentlichkeit rules! Anders lässt es sich ja auch nicht erklären, warum die Telekom etwa ihre Telefonzellen zugunsten von Marterpfählen mit Laberkasten dran abgeschafft hat. Wann kommt endlich das vollverglaste  Solarium? Naja, die Hose passt eh nicht, und ich gehe zurück und suche eine Beratung beim Verkaufspersonal. „Haben Sie halbseidene Knickerbocker des kontinentaleuropäischen Stils mit Applikationen für den Sport Hubertus?“, frage ich sie. „Hä?“ „Gibt es hier Hosen mit Taschen für Jagdinstrumente, welche zu 50% aus seidenem Gewebe verfertigt sind?“ „Hä?“ „Du-habe-Hose-mit-Tasche-für-Messer? Hose-müsse-sein-weich.“ „Da drüben.“

Tja, man muss seinen Soziolekt eben den Fährnissen und Imponderabilien der Target Group anpassen. Und, hiergeblieben, lieber Leser, ich sehe, wenn Du zum Lexikon greifst! Es hat sowieso keinen Sinn mehr. Ich greife mir eine lila ballonseidene Jogginghose, weiche vor der Tür einer Gruppe Blockflöten-Terroristen aus, kaufe mir noch einen Joghurt im HL-Deutschen-Supermarkt und mache mich auf nach Hause, wo ich mich hinsetze, um ihm geduldig das Sprechen beizubringen. Und nächste Woche kümmere ich mich um meine schwarze Liste, auf die ich nun auch die H&M-Verkäuferin aufnehme.