Le Malpensant geht in die Kneipe

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 6, Juli 2003

Schon wieder zu spät! Kaum, dass ich aus der Bibliothek gestürmt bin, um shoppen zu gehen, muss ich feststellen, dass es bereits nachtet. Einzig in der Fußgängerzone kann man noch einkaufen, namentlich beim „Moonlight-Shopping“. Was für ein Spaß nach dem ganzen langweiligen „Sunshine-Shopping“ oder dem „Rather-cloudy-day-shopping“!

Während es zu dunkel ist, die Hundehaufen und die hässlichen Mülleimer zu sehen, und man ergo ständig in selbige hineinläuft, stolpern Konsumidioten grinsend durch die Geschäftsstraße. Gerne auch zu zweit. Wenn man ein Pärchen ist, dessen Chancen beim Namenpinkeln im Schnee aufgrund verschiedener anatomischer Prädisposition unterschiedlich gut sind, dann wird man zur Strafe auch noch alle Nase lang photographiert für irgendein überflüssiges Lokalkäseblatt. Die Beklopptesten der Bekloppten entblöden sich ja auch nicht, an einem Wettbewerb teilzunehmen, bei dem man selbstgemachte Herzen in die Kamera hält und zu zweit möglichst dümmlich guckt. Ich halte bei soviel Kitsch lieber meinen Effenberg in die Kamera und gehe mir einen in die Rübe sallern.

Dazu begebe ich mich einfach den Alkoholikern nach durch dunkle Gassen (hallo, Hundehaufen!) bis zur Altstadt, zum ersten der zwei Bermudadreiecke (Dreamer-Peitsche-Stiefel). Ich lasse mich bis zum Dreamer drängen, und hinein! Im Inneren sieht es aus, als ob ein Quentin-Tarantino-Fan zum Innenarchitekten befördert wurde. Alles sieht aus wie im „Titty Twister“, jener denkwürdigen Lokalität aus „From Dusk Till Dawn“: Tanzkäfige, schmuddelige Beleuchtung, siffige, schmierige Typen. Nur an Salma Hayek wurde gespart, stattdessen Mädels, die 90 Kilo Lebendgewicht gerne mit Minirock und bauchfreiem Top kombinieren, was den Effekt erweckt, rosarote Plockwürste herumlaufen zu sehen. Mich gruselt.

Ich fliehe in den Stiefel. Hier ist es glatt noch schauriger: Ein Rudel berufsjugendlicher Dauerbaggerer bevölkert den Tresen, klammert sich an seinen Modegetränken und Zigaretten fest, schaukelt im Takt der Modern-Talking-Mucke oder ähnlicher lala-Musik und guckt ständig interessiert herum,ob es nicht doch eventuell ein hübsches weibliches Wesen unter all den solariumgetoasteten Dauerwellenköppen gibt. Gibt es nicht.

Aber anstatt diesen Umstand zu akzeptieren und einfach mal die Kneipe zu wechseln, schädeln sie sich so lange Erdbeertequila, Altbier mit Mango oder Schnaps mit Korn in den Kopp, bis dass sie sich selbst Hella von Sinnen schön gesoffen haben. Und danach geht’s dann dabei: Dass das Produkt der Kreuzung zwischen Manni Maschinenbauer und Frida Friseuse keinerlei evolutionäre Potenziale hat und ergo in zwanzig Jahren selbst im Stiefel landet, wo die Kacke dann von vorne losgeht, ist offensichtlich.

Aber wozu rege ich mich auf? Dafür habe ich doch Andere! Ich spiele also „geh auf Toilette“, wobei ich beim Durchqueren des Raumes viel Spaß an meinen Ellenbogen, meinen schweren Schuhen und meiner glühenden Zigarette habe. 5 x „Aua!“, 2 x „hey!“! Nicht schlecht. Kurz vor der erfreulicherweise steil erbauten Treppe (auf der ich etwas Schmierseife verteile) mache ich mich durch den Seitenausgang auf und davon. Ich stolpere die Straßezum zweiten Bermudadreieck hinunter.

Auf halbem Weg weiche ich der laternenschwingenden Gruppe „Nachtwächterführungen“ aus, bei der ich mich immer frage, wer sich wohl blöder fühlt: die Touristen, weil sie die doofen Laternen halten müssen, oder der Sozialpädagogikstudent, weil er behaupten muss, er wäre ein Nachtwächter, anstatt, wie sonst im Dezember, der Weihnachtsmann.
Ein Tourist verbirgt schamhaft ein Pappherz unter seinem Mantel. Zu spät! Nächsten Sonntag weiß jeder Leser der ON, dass er ein Trottel ist. Dieser Gedanke stimmt mich so heiter, dass ich beschließe, auch noch in die Osnabrücker Discos zu gehen.