Le Malpensant geht auf die EW-Party

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 4, Mai 2003

Mittwochs, halb zehn in Deutschland. Einfach mal abschalten. Da trifft man gute Freunde und neue Menschen. Zeit für ein Bierstückchen. Zeit für ein Ploppers.

So oder so ähnlich echot mir der salbadernde Werbetext eines viel zu krümeligen Schokoriegels durch den Hinterkopf, als sich die Sonne mit Grausen vor so viel fröhlichen Menschen in Osnabrück (Wow, 87%  zufriedener Bürger! Das Land des Lächelns liegt in Osna!) hinter den Horizont verkriecht. Ich bin einer der unzufriedenen Bürger. So unzufrieden, dass ich für 13% ausreiche. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben. Ich beschließe also, mich ins Gewühl zu stürzen. Ich mache mich kurz zurecht, entscheide mich schweren Herzens gegen das todschicke Uni-Osnabrück-Joggingoutfit, das ich günstig im Semesterschlussverkauf erstanden habe, und für Jeans und T-Shirt, trinke ein Bierchen zum Vorglühen und mache mich auf den Weg.

21:30: Das EW-Gebäude! Welch ein Palast! Majestätisch erhebt es sich wie ein Kackekringel mit breiter Basis und spitzem Zulauf auf der Schloßgartenwiese. Selbst mit der farblichen Gestaltung hat der frustrierte Architekt nicht gegeizt und sich für ein dezentes Zuviel-Kaffee-im-Stuhl-Braun entschieden. Entzückend. Ob heute Abend wohl auch zugehöriger Geruch das Haus erfüllen wird? Ich atme also lieber noch mal tief durch, schließe die Augen und trete durch die Hightech-Schiebetür, die durch ewiges Aufgehen im Winter für spontane Erfrierungen im Eingangsbereich sorgt. Musik wabert mir entgegen. Doch irgend etwas fehlt. Die Menschenmassen! Also, die fehlen mir jetzt nicht wirklich, aber irgendwie macht sich eine Party so ganz ohne Menschen dann doch ein wenig doof. Ich tigere also zur Biertheke und erfahre dort, dass es eigentlich immer erst nach elf so richtig los geht und es erst Mitternacht voll wird. So nicke ich denn dem einsamen Luftgitarrespieler auf der Tanzfläche zu und gehe. Missmutig setze ich mich auf die nächste Straßenkreuzung und erkläre den Polizisten, daß ich ein Ründchen gegen den Irakkrieg und den Walfang demonstriere.

23:45: Das EW-Gebäude! Welch... Ach so, das hatte ich ja schon. Ich dränge mich also vorbei an Ernas Pizzarollcontainer und einigen Studenten, die überall grundlos herumstehen und -sitzen. Vermutlich Demos gegen das Waldsterben. Mitten durch und hinein. In Innenraum empfangen mich laute Musik, verqualmte Luft und eine Menschenmasse von Allerweltsstudentengesocks. Ich kämpfe mich zur Biertheke durch und will mir erst einmal das Elend schönsaufen. Dumm nur, dass heute wieder irgendeine ideologisch fanatisierte Gruppierung dir Party schmeißt, und es deswegen nur ökologisch einwandfreies Ökobier gibt. Schmeckt wie vergorene Birkenstocklatschen. Naja, der Zweck heiligt die Mittel, und ich leere trotzdem tapfer die Flasche.

Um mich herum drängeln Horden von biersüchtigen Proleten zur Theke und verlangen schreiend nach mehr Stoff. Wie sie mir zuwider sind! Einer blubbert mich an: „Ey, sag mal, kannst Du mir ein Bier mitbringen?“ Ich schaue ihn an. „Du mieses Stück Scheiße, laber mich noch einmal an, und Du findest Dich in der Mülltonne wieder. Aber in vier verschiedenen!“ Eingeschüchtert blubbert er den nächsten an. Ich trotte zur Tanzfläche hin, wo sich einige in der olympischen Disziplin des Hoch-und-Weit-Pogens versuchen. Ich lächele den Irren mitleidig zu und grinse sogar, als ich sehe, wie ein schmächtiges Mädchen von einem Kleiderschranktypen angepogt wird und taumelnd gegen einen Gaffer am Rande fällt. Bei dem Gaffer handelt es sich um einen dieser widerlichen Erstsemester, die einem immer die Schlange an der Mensa verlängern und die einfach mal „krass jede Party mitnehmen, weil, so jung kommt man nicht mehr zusammen, und man muss ja auch irgendwie studentische Kontakte knüpfen und so. Also Networking, weißt Du?“. Ich gratuliere dann immer diesen Nasen, dass sie erfolgreich Englisch sprechen können.

Der Erstsemesteraner grinst ein wenig unsicher, dass ihm schon auf der ersten EW-Party eine Frau in die Hände fällt- einige warten da Jahre drauf. Wie etwa dieser Dreißigjährige, der schon seit drei Backpfeifen Mädels angräbt mit dem immergleichen Mörderspruch „Ich habe meine Telephonnummer vergessen. Kannst du mir mal deine geben?“.

01:45: Zwei Stunden später habe ich es geschafft. Ich bin natterbreit und ungefähr drei Zentimeter größer, was der Mischung aus Fluppenleichen und pappigen Bierpfützen unter meinen Sohlen geschuldet sein dürfte. Ich weiche dem pfandflaschensammelnden Obdachlosen aus, stolpere durch die Schiebetür („Huiii“, machen die Leute im Eingangsbereich), steige über einige herumsitzende Studenten (Diesmal bestimmt Weltfrieden), wanke durch den Schlosspark (wo hinter einem Busch gerade neue Mistblagen produziert werden) und nach Hause. Mir geht es superübel. Das Ökobier will raus. Obenrum. Ich beschließe, es noch ein wenig zu archivieren und es am nächsten Tag woanders rauszulassen. Wo? In der Unibibliothek.