BdK Folge X: Wenn sie anruft

von Stefan Berendes

erschienen in Kommunikaze 20, August 2006

Wann sie wohl endlich anruft?“, seufze ich in mich hinein. Ich sitze hier wie auf  glühenden Kohlen: Jeden Moment kann es soweit sein, ist es aber dann doch nicht. Gut eine Woche geht das nun schon so. Sie werde sich später noch mal melden, hatte sie mir ins Ohr gehaucht, und ich, ich hatte es ihr geglaubt. Mittlerweile glaube ich vor allem, dass ich so gut wie alles falsch gemacht habe. Ich hätte gleich von vornherein, wie man so schön sagt, am Ball bleiben sollen. Mehr Interesse zeigen, verbindlicher sein, mir Zeit nehmen.

Nun aber dies. Kein Schwein ruft mich an. Es ist zum Heulen.
Dabei geht es noch nicht einmal um Herzschmerz und Seelenheil, sondern lediglich um 24 Monate günstig Telefonieren in alle deutschen Handynetze. Es geht um meinen Mobilfunkvertrag.

Das zumindest hat sie gesagt, als sie zum ersten Mal anrief. Ich lag gerade unter der Bühne. Nein, nicht auf der Bühne weil ausgepowert von der kräftezehrenden Liveshow und still dem tosenden Applaus lauschend. Das wäre schön gewesen. Nein, unter der Bühne, sozusagen bei deren Aufbau, bei einer Open Air-Veranstaltung, bei der ich mich als billige Arbeitskraft verdingte. Insofern hatte ich gerade anderes zu tun, als über meinen Vertrag zu plaudern. Das sah sie ein, wir vertagten uns auf später.

Anrufe zwei bis fünf erreichten mich immer genau dann, wenn es gerade gar nicht ging: bei Tempo 160 auf der Umgehungsstraße, in der brechend vollen Fastfoodklitsche an der Kasse oder im Modulseminar Internationale Politik römisch II.

Dabei gefiel es mir ja auch, umworben zu sein. Ich malte mir aus, was ich alles raushandeln würde bei meiner Vertragsverlängerung: Neues Telefon, mehr Frei-SMS, weniger Grundgebühr. Und weil ich wusste, dass Verhandeln nicht eben eine meiner Stärken ist, ließ ich mich beraten von allen Seiten und wartete auf den nächsten Anruf. So ging es weiter und weiter, und jedes Mal, wenn ich mich irgendwo befand, wo Telefonieren leider gerade ganz unmöglich war, rappelte es los in meiner Hosentasche.

Ich wurde ganz vogelig im Kopf, träumte gar eines Nachts, wie ich mit ihr telefonierte, der Dame aus dem Callcenter, während ich kniehoch durch regenbogenfarbig changierende Kohlköpfe watete. Kaum dass ich aufgewacht war, geriet ich in Panik und befürchtete, das Gespräch sei – von den Kohlköpfen mal abgesehen – wohlmöglich gar kein Traum gewesen, sondern habe vielleicht im Halbschlaf tatsächlich stattgefunden.

Und nun sitze ich hier also nach wie vor und warte. Immerhin hatte ich mittlerweile reichlich Zeit, meine Verhandlungstaktik zu verfeinern. Ich ließ mich vom Kollegen Nehren coachen, dessen nahezu hypnotischen Fähigkeiten am Telefon dafür sorgen, dass er wohl selbst dem abgefeimtesten Call Center Agent noch eine Doppelhaushälfte als Kundenprämie aus dem Kreuz leiern könnte. Als das Telefon dann klingelt, bin ich sofort in der Leitung und lege los. Auf Seite 17 meines mittlerweile Konsalik-dicken Manuskripts komme ich zwar kurz ins Stocken, aber ansonsten ist mein Vortrag brillant. Sie hat mir nichts entgegenzusetzen, die saubere Callcenterdame, und wenn ich in den nächsten zehn Jahren nur einen Cent fürs Telefonieren bezahle, dann sollte es schon mit dem Teufel zugehen.

Leider, so teilt sie mir im Laufe des Gespräches mit, geht es nicht um eine Vertragsverlängerung, sondern um einen neuen Tarif, der es mir für vier Cent mehr im Monat erlauben wird, für vier Cent weniger im Monat ins Festnetz zu telefonieren. Das klingt vernünftig, und obwohl enttäuscht schlage ich ein. Um meine Vertragsverlängerung, so erfahre ich, muss ich mich aber leider beizeiten selbst kümmern. Dann lässt sie mich aber noch wissen, dass meine lückenlose Argumentationskette, warum mein Mobilfunkanbieter eine lebenslange monatliche Rente an mich ausschütten sollte, ihr vollkommen plausibel erscheint.
Für die Vertragsverhandlungen wünscht sie mir viel Glück und außerdem noch einen schönen Tag.