Ich habe keine Beziehung zu Pflanzen

von Tobias Nehren

erschienen in Kommunikaze 20, August 2006

Als das Thema dieser Ausgabe bestimmt wurde, war ich zunächst einmal gar nicht begeistert. BUNDESGARTENSCHAU. Was fällt einem dazu schon ein? Das Erste, was ich sagte: „Ich habe keine Beziehung zu Pflanzen!“. Das brachte mir das Gelächter der Redaktion und die Forderung, darüber doch einen Text zu schreiben, ein. Einen Text, der zeigen sollte, wie scheißegal mir Pflanzen seien. Nun sitze ich hier und überlege, wie ich am besten, lustigsten, traurigsten darüber schreibe, wie egal mir Pflanzen sind. Und je mehr ich darüber nachdenke und mir Gedanken mache, komme ich zu dem Schluss, dass mir Pflanzen vielleicht doch nicht ganz so egal sind. Und das kommt so:

Wie ich so denke und überlege, wird mir klar, dass Pflanzen, wenn sie nicht gerade in Räumen eingesperrt werden, häufig in einem Kontext auftreten, den der gemeine Mensch dann als Natur bezeichnet. Und dass ich mit Natur nichts zu tun habe, kann ich nun wiederum nicht sagen. Nicht, dass ich der geborene Naturbursche wäre: Ich mag weiches Klopapier, und gegen elektrischen Licht habe ich grundsätzlich auch nichts einzuwenden. Aber bei vielen positiven Erinnerungen und Erlebnissen, die sich so beim Stöbern in meinen Gehirnwindungen auftun, war die Natur nicht nur dabei, sondern ohne dieselbe wären meine Erinnerungen nur halb so schön und viel weniger mit Gerüchen und Geschmäckern gefüllt.

Was wären die Ferientage meiner Kindheit ohne die Erinnerung an den Garten meiner Oma, der über und über mit essbaren Pflanzen und mit Samen aller Art und Farbe gefüllt war. Dieser Garten, in dem ich kleiner Rabauke herumtollen und  Wasserschlachten machen, mir den Bauch mit Kirschen und Erdbeeren voll schlagen konnte, bis das Weiße in meinen Augen langsam eine rote Färbung bekam. Dieser Garten hat noch heute, wenn ich ihn besuche, einen ganz besonderen Geruch, er kommt mir zwar viel kleiner vor, was sicher daran liegt, dass ich über einen Meter größer bin und sich meine Perspektive schlicht geändert hat, aber es ist immer noch der Feriengarten, der nach Erd- und Johannisbeeren und frei-haben und sorglos sein duftet.
 
Ja, und was wäre meine erste große Liebe, der erste verliebte Sommer, gewesen, ohne dieses ganze Grünzeugs um mich und sie herum gewesen. Sicher ist, dass wir uns auf dem Parkplatz vor Real längst nicht so unbeschwert, ungesehen, abgeschottet gefühlt hätten. In diesem kleinen Dorf, am Fluss zwischen Blumen, Bienen, Bäumen und Blättern war das möglich, hier waren wir nicht mehr in der Zivilisation, wir waren zusammen und allein nur für uns da. Dieses Gefühl, das sich noch heute wohlig aus der Magengegend ausbreitet wenn ich an diese Tage denke, auch das wäre ohne die Natur, also ohne Pflanzen, nicht möglich gewesen.

Und die Liste von Erinnerungen und Gedanken, in denen die Natur eine wichtige, bedeutende Rolle spielt, ließe sich ohne Weiteres fortsetzen. Und da kann ich schlicht nicht mehr behaupten, dass mir die Natur egal wäre, dass ich keine Beziehung zu ihr hätte.

Ich stelle also fest: ich habe eine Beziehung zur Natur, zu Pflanzen und zu Grünzeugs. Die Frage, die sich nun im Zusammenhang mit der anstehenden Bundesgartenschau stellt, lautet: Habe ich eine Beziehung zur Bundesgartenschau? Ich habe mich mit dieser Veranstaltung inhaltlich noch überhaupt nicht beschäftigt. Doch bezweifele ich, dass meine Oma dort ihren Garten nachbauen wird. Auch glaube ich nicht, dass die Veranstalter diesen kleinen Fluss nachempfinden werden, an dem ich damals mit meiner Freundin lag, und an dem wir uns so unglaublich wohl fühlten.

Deshalb komme ich zu dem Schluss, dass die Bundesgartenschau für mich keine unglaublich spannende Veranstaltung werden wird. Aber vielleicht, und das ist meine geheime Hoffnung, gehen ja einige Menschen hin und lassen sich inspirieren und bauen dann einen Garten, in dem ihre Enkelkinder sich mit Wasserbomben bewerfen und sich den Bauch mit roten Früchten füllen können, und in dem es nach Ferien und unbeschwerten Kindertagen duftet.