Der Tunnel am Ende des Lichts

von Jan Paulin

erschienen in Kommunikaze 15, November 2005

Wenn einem vom Leben wieder ein bisschen schwindelig geworden ist, sollte man am Wochenende einfach mal zuhause bleiben, statt wie gewohnt nächtens durch die Gassen der Innenstadt zu baldowern. Im achten Semester sollte man sowieso den Kopf zwischen Bücher hängen und nicht seinen Frontalcortex, auch Stirnhirn genannt, nach durchzechten Nächten an der Klobrille verkühlen. Hand aufs Herz, in letzter Zeit habe ich mein Haupt etwas zu oft auf biertriefenden Theken abgelegt. Das nervt, dauernd wird man wieder wachgemacht! Also, ein mutiger Schritt ans Mikro und es heißt: Das Halali aus den verruchten und verrauchten Trinkhallen dieser Stadt wird heute kein Gehör bei mir finden. Ich muss mich erholen. Ich glotz TV.

Rauf auf das Sofa und rein ins Vergnügen. Bill Murray hat einmal gesagt: „Schauspieler, die berühmt werden und nicht auf sich Acht geben, bleiben ihr Leben lang prominente Affen“. „Recht hat er“, schallte uns von den Bäumen und Bergen diverser Dschungel- und Alpencamps ins Wohnzimmer. „Aber wenigstens gibt es Geld fürs Lausen.“ Davon immer noch traumatisiert schnappe ich mir die Fernbedienung und fange ganz vorne an. Mit jeder Senderbelegung trifft man ja irgendwie auch eine Bewertung und definiert gleichzeitig seinen  eigenen Medienverbrauch. Bei mir sieht es wie folgt aus: Eins und Zwei klassisch ARD und ZDF, dann ARTE, dann die Dritten, dann die private 1. Bundesliga, dann die 2., dann Sport, dann Nachrichten. Also los, Psychologen und Konsumforscher dieser Welt: Analysiert und kategorisiert mich! Ich will alles hören!

Der Grundstein für den tagtäglichen Fernsehwahnsinn ist mit einem Datum und einem Namen verbunden: 28. Februar 2000, Zlatko. Eine Art Pfahlsitzen mit Rudelbumsen als Sendekonzept hat seither einen festen Platz im deutschen Fernsehwald und nach und nach auch andere Formate mit seinem ansteckenden Virus angesteckt. Sogar die deutsche Eiche des TV-Programms, Thomas Gottschalk, muss jetzt Kelly Osbourne und ihren Vater in seine Show einladen und dabei darum bangen, dass Erstere ihm nicht zur Begrüßung ins Gesicht spuckt und Letzterer überhaupt am Leben bleibt. Zlatko kommt bei dem ganzen eigentlich nur eine Nebenrolle zu, aber eine historische. Er war der Erste, der vollkommen ungekünstelt den

Volltrottel gab und hinterher auch noch versuchte, in die Charts zu kommen. Nach einigen weiteren Versuchen sah man bei Endemol ein, dass nicht genug Ressourcen für solcherlei Liedgut zu finden sind. So schleust man heute die verbrauchten Teilnehmer kurzerhand als Animatoren bei Neun Live ein oder recycelt sie gleich in der eigenen Sendung. Dort spielen sie in Sachen TV-Sender zwar wenigstens noch 2. Bundesliga, dürfen aber meist nur die sogenannten „Challenges“ moderieren. Und das auch nur, wenn Oli P. krank ist oder seine Sonnenbrille vergessen hat.

Ich schlurfe in die Küche und suche nach geeigneter Nervennahrung fürs Abendprogramm. Irgendwie gehört dieser Bilderteppich schon lange mal ausgeklopft. Wen interessiert es, was sich Politessen in Frankfurt-Offenbach anhören müssen, wenn sie den Mercedes vom Dönerbudenbesitzer Ali abschleppen lassen. Oder wie sich Armin und Sabine aus Essen auf ihre ungeborenen Zwillinge vorbereiten. Manchmal, wenn ich in der richtigen Stimmung bin, dann kommt mir eine Revolte gar nicht so schwer vor. Wir müssten sie einfach alle nicht mehr schauen, die Dicken-Abnehm-KZ´s und Pimp-meine-Schrottbude-Shows.

Wegschmeißen, die olle Röhre, und dann im Keller eine Auberge für Künstler einrichten, die von dort aus den Umsturz und kreativen Neuanfang im deutschen Fernsehen planen. Aber mir fehlt die Laune. Ich müsste sowieso erst meinen Mitbewohner fragen. Der würde dann wahrscheinlich motzen, weil wir fortan unsere Wäsche nicht mehr im Keller aufhängen könnten, sondern im Zimmer trocknen müssten und davon ja bekanntermaßen die Tapete kaputtgeht. Außerdem machen Künstler im Keller sowieso nur Ärger. Aber so ein Piratensender Powerplay, das wäre schon toll. Mit Viva wurde Anfang der Neunziger so etwas ja schon versucht. Doch nach der Übernahme durch die Firma Viacom ist vom sympathischen Chaossender Dieter Gornys heute nicht mehr viel übrig. Ausgehöhlt, als eine bloße Fassade, die ihren Namen behalten darf, fungiert er als Abspielstation für Handy-Klingeltöne. Fast forward, stop! Wir haben es zugelassen.

Zurück vor dem Fernseher sehe ich den Tunnel am Ende des Lichts: Frauentausch. Möglichst dicke, hässliche und rotgefärbte Gebährmaschinen vom Lande tauschen Heim und Herd mit solariumgebräunten, wasserstoffblonden Großstadtweibern. Die Punchline liegt auf der Hand: Frau Nummer Eins kommt in Berlin-Kreuzberg natürlich nicht klar. Man wartet nur darauf, dass die Tränen rollen und mit zitternder Unterlippe die Liebe zur Familie im hessischen Obermumbach beschworen wird. Dort wird die Abtrünnige derweil auch schon ganz schön vermisst. Die Blondine aus der Großstadt heizt nämlich ordentlichganz schön ein. Der abgeschlaffte Familienvater trägt sonst nur Jogginghose und Unterhemd, jetzt muss er Hemden bügeln und darf nicht ins Fußballtraining.

Bei soviel geistigem Tiefflug zieht ein Bild vor mein inneres Auge. Mit dem Fernsehen ist es wie mit dem Fallschirmspringen. Du denkst noch: Was zum Teufel mache ich hier? Schon bist du an der Türe angekommen, wo man nur ein dumpfes Brausen hört. Dann das Gefühl, als kippe man nach hinten um, wie im Traum. Sobald man draußen ist, hört man nur noch den Wind, schschschschschsch. Bevor du es merkst, bist du mittendrin und kannst nur noch hoffen, dass der Schirm aufgeht. Ich reiße am Riemen und mache die Glotze aus. Eigentlich hätte ich ja gerne noch Wahlkampf geschaut, aber das erspare ich mir jetzt. Phrasenbingo hab ich ja schon bei Neun Live gesehen. „Wenn du an eine Weggabelung kommst, nimm sie“. Das sagte schon der amerikanische Baseballweise und Komiker Yogi Berra. Unsere Politiker scheinen das jetzt ernst zu nehmen und wo würden wir so etwas lieber sehen, als im Fernsehen. Aber das steht auf einem anderen Blatt. Ich glaube ich gehe doch noch aus. Das mit der Erholung klappt nicht so richtig.