Busfahrt

von Ines Bethge

erschienen in Kommunikaze 3, April 2003

Mal wieder gestresst. Kind abgeholt, will mit dem Bus nach Hause, Ruhe haben. Endlich kommt er angerollt, und verheißungsvoll öffnen sich die Türen vor mir und meinem Kinderwagen... um den Blick auf zwei weitere Kinderwägen freizugeben. Grr. Das Manövrieren beginnt. „Könnten Sie vielleicht ihren Wagen ein bisschen zur Seite schieben, ja, so könnte es gehen, oh, da hakt’s noch...“

Quetschen, stehen und versuchen, bei den Vollbremsungen des Busfahrer die Balance zu halten, während man irgendwie das aus-dem-Wagen-klettern-wollende Kind in Schach halten muss, da sonst wieder eine dahingenölte Lautsprecherdurchsage wie „Das Kind muss aber sitzen!“ oder ähnliches auf einen zukommt. Dazu die Blicke der beiden anderen Bilderbuch-Mütter. Welches Kind ist das bravste, schönste, ruhigste? Vor mir zwei sogenannte ältere Damen, deren Sätze mir schauderndschüttelnde Gänsehaut über den Rücken jagen: „Also, wenn ich ganz ehrlich bin...“, „Ich muss ganz ehrlich sagen...“. Als wenn die darauf folgenden tiefgreifenden Erörterungen über die Buspreise von vor zehn Jahren  ein in tiefster Seele gehütetes Geheimnis wären, das man in vollem Vertrauen zum Gesprächspartner nun offen legt. Ich muss kurz denken, dass es ja doch fast schon wieder rührend ist, wie sie mit diesen in jahrzehntelanger Übung gedrechselten Phrasen eine kurzweilig plumpe Vertrautheit herzustellen suchen. Wobei mir aufgefallen ist, dass es hierbei zwei Arten gibt, die sich in solchen Bus-Konversationen herauskristallisieren: die „dümmlich-verkrampft-glückselig Lächelnden“ und die „verzogen-säuerlich Meckernden“. 

Im Hintergrund ein angeregt dahinplätscherndes Gespräch zweier blondgefärbter Freundinnen darüber,  welche Freundin welcher Freundin Scheiße über die dritte Freundin erzählt hat, die doch  Stress mit der einen Freundin hatte, weil diese der ersten Freundin Scheiße über den Kumpel ihrer Freundin erzählt hat. Durchbrochen wird dieser stetige Fluss durch die unüberhörbar hervorgestoßenen Laute eines übergewichtigen, schwer pubertären Jungen, der aufgeregt dem ganzen Bus sein letztes Videofilm-Erlebnis vermitteln möchte.  Auf den hinteren Plätzen verkichern sich 15jährige Mädchen mit glitzerüberlaufenen Augen trunken durch die Minuten, und vorne schweigen gesetzte Damen mit gesetzten Herren wortlos vor sich hin.  „Mama, wie heißt der?“ Sei still Kind, BITTE, ICH MÖCHTE JETZT KEINE MÜTTER-KONVERSATION BETREIBEN! „Mama, wie heißt der?“ Es scheint keinen Ausweg zu geben. „Weiß ich nicht. Musst du mal fragen.“ Gequältes Lächeln zu Mutter Nr.1, fragender Blick. „Julian“ antwortet diese. Okay, nun führt kein Weg mehr an weiterem Austausch vorbei. „Wie alt ist er denn?“ Aaah, ich will es gar nicht wissen und ich hoffe, der Bus fährt schneller, damit ich diesen pseudointeressierten verschworenen Mütter-Blick nicht mehr lange aufrechterhalten muss.

Ich bin genervt, es interessiert mich verdammt nochmal nicht, ob Julian gerade auf dem Spielplatz war oder ob es gerne Vollkornkekse mag! Zu meinem Glück klinkt sich nun Mutter Nr.2 in das Gespräch ein, so dass ich, mich dezent zurückziehend, den beiden das Feld überlassen kann und es reicht, wenn ich ab und zu wissend nicke. Und dann sehe ich sie, da leuchtet sie mir entgegen, meine Bushaltestelle, mein Rettungsanker, meine Ruhe.
„Tschüüüüüüs“. Winke, winke. Geschafft!