"Olé, wir fahr'n in' Puff nach Barcelona!" - eine Interpretation

von Sven Kosack

krause.gif

Illustration: Christian Reinken

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 18, April/Mai 2006

Im vorliegenden Lied wird die mittelalterliche Literaturgattung des Fernwehs und der Reiselieder mit der jüngeren Gattung der popliterarischen Explizitsexualliteratur kunstvoll vermengt. Das Lied gliedert sich in zwei Strophen mit Refrain, der jedoch als Stilbruch vor der Strophe gesungen wird. Der Refrain wird, wie es häufig vorkommt, am Liedende verkürzt repetiert.

Die Strophen weisen die Besonderheit auf, textidentisch zu sein. Sie sind im AABB-Reimschema aufgebaut und als 6-hebiger-Jambus mit einer Zäsur nach der dritten Hebung, wo ein Daktylus eintritt, konstruiert. Der siebenzeilige Refrain greift dieses Reimschema in den ersten beiden, titelgebenden Zeile auf, verfällt jedoch in Zeile 3 und 4 sowie 6 und 7 in einen trochäischen Versfuß, was diese Zeilen in ein lyrisches Spannungsverhältnis zum Restlied setzt.

Der Inhalt des Liedes wird von einem lyrischen Ich vorgetragen, das sich Micky Krause nennt. Diese Fokussierung ist jedoch nicht scharf, denn mehrfach weicht das lyrische Ich in die erste Person Plural aus. Diese Gruppe wird nicht näher definiert, es wird allgemein von „alle“ gesprochen.

Der Ich-Erzähler berichtet von einer Reise in den Süden, die er gerade unternimmt und gibt ein klares Ziel an, Barcelona. Genauer gesagt: das örtliche Bordell. Wer von uns fühlt sich hier nicht an Mozarts Entführung aus dem Serail erinnert? Ebenso zeitaktuell wie der versteckte Hinweis auf das Mozartjahr ist die subtile Referenz an den Wellness-Zeitgeist, wenn es heißt „da pimpern wir uns fit“. Wiederum gelingt dem Autor hier spielerisch die Verknüpfung von Reiseelementen, Sexualität und Lebensgefühl.

Doch beinhaltet das Lied auch große Momente der Tragik: Zwar gibt sich der Ich-Erzähler den männlichen Vornamen Mickey und bekennt, daß er wissen möchte, „wie Spaniens Frauen lieben“, doch wird dieses Streben nach neuen Erfahrungen unter der Sonne der iberischen Halbinsel in empfindlicher Weise gestört: Im Refrain wird in Zeile 3 und 4 doppelt wiederholt, dass jemand, der im Gesamtkontext des Liedes steht, lesbisch und ein bisschen schwul sei. Diese sexuelle Konstellation, die zur Frustration des lyrischen Ichs führen muss, wird durch dadurch bestärkt, diese Zeilen im kontrastierenden Trochäus geschrieben sind, während im Restlied der alexandrinische Jambus vorherrscht. Diese Frustration wird verdoppelt in Zeile 6 und 7 des Refrains, wo „tausend nackte Weiber auf dem Männerpissoir“ versammelt sind, mit denen der Held des Liedes jedoch nichts anzufangen weiß — wohl aufgrund seiner eigenen Homosexualität oder der der potenziellen Liebespartner. Somit bleibt von der Aufbruchsstimmung, die am Anfang des Liedes beschrieben wird, am Ende nur eine traurige Zusammenfassung des Reiseziels, das durch die spanische Exklamation „olé“ eingerahmt wird wie eine Klammer, die das Herz des Reisenden zusammenhalten möge, damit es ihm nicht in der Brust zerspringe.