The Singles - Lieder für Leider

von Stefan Berendes

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Illustration: Christian Reinken

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 18, April/Mai 2006

Alles vorbei, alles aus: Sie ist weg (weg), und ich bin wieder allein (allein). Das schreit nach großer Pose, das will angemessen begangen sein: Das musikalische Notfallnecessaire liegt zum Glück bereit: Press play on tape.

Es ist so furchtbar, man möchte sterben. Ach was, am besten sollen gleich alle sterben! Die Welt soll untergehen, postwendend! Mit allem gebotenen Zipp und Zapp! Und im Hintergrund zünftige Weltuntergangsklassik, das wäre was. Immerhin das kann auch die Zimmerstereoanlage leisten: Schnell das Verdi-Requiem eingelegt, und schon lässt das Dies Irae die Wände wackeln. Jawohl, Gott, steck den Hintern durch die Wolken und scheiß die ganze Bande zu! Wenn man die Augen schließt, sieht man den jüngsten Tag förmlich vor sich! Und dazu passend bittersüß die Smiths: „If it’s not love, then it’s the bomb that will bring us together!“  Und natürlich: “There is a light that never goes out” So schön kann das Armageddon sein!

Als nächstes noch ein letztes nostalgisches Aufbäumen: Jacques Brel schluchzt sein ergreifendes Ne me quitte pas ins Mikrofon. Ja, so muss man’s machen: Das Ego an der Garderobe abgeben und verzweifelt versuchen zu retten, was schon längst nicht mehr zu retten ist: „Lass mich der Schatten Deines Schattens sein, der Schatten Deiner Hand, der Schatten Deines Hundes!“ Wer noch tiefer runter will, muss ein Loch buddeln. Play it again, Jacques. Es ist so ergreifend, nach diesem Lied kann nichts mehr kommen außer dem Sturz vom Hochhaus. Wer da nicht Rotz und Wasser heult, der hat kein Herz.

A propos Hochhaus: Gerade pluckern noch behutsam die ersten Takte von Nancy Wilsons  Elevator Beat aus den Boxen, und sofort hat man wieder das Ende von Vanilla Sky im Kopf, wo Tom Cruise auf dem Hochhaus steht und Penelope Cruz zum letzten Mal sieht, und eigentlich ist sie tot, aber im Traum könnte er ewig mit ihr zusammen sein, und dann springt er aber doch vom Dach und wacht auf, weil er eben auch seinen Adorno gelesen hat, der Tom, und weil es natürlich kein wahres Leben gibt im falschen. Und das ist alles so sterbensschön, man möchte sein Herz an der Biegung des Flusses vergraben, oder doch wenigstens das Gesicht in den Händen.

Jetzt aber schnell was Brachiales, bevor es allzu besinnlich wird: „ZohomBÄ, ZohomBÄ, ZohomBÄ, BÄ, BÄ!“, gniedelt Dolores O’Riordan von den Cranberries, und die Gitarren sägen alles kurz und klein. Einerlei, dass es dabei eigentlich um Nordirland geht! Liebe ist auch Krieg, da kann man sich schlechterdings nicht mit Petitessen aufhalten! Und gleich hinterher den halben Lovesong von den Ärzten: „Soll es das gewesen sein?“ Es sieht sehr danach aus.

Auch Grönemeyer hat - thematisch passend -  Herausragendes geleistet: Kein Verlust und natürlich „In Deinem Leeeeben nach mir wünsch’ ich Dir viel Pech,…“ Genau so ist es! Und weil Selbstmitleid ohne Obsession nicht dasselbe ist, zur Sicherheit noch The Police obendrauf: Every breath you take, every move you make, every single day, every word you say: I’ll be watching you!” Damit Du’s nur weißt!

Mittlerweile hilft nur noch der harte Stoff weiter: „Is It Getting Better?“, fragt Bono in One (natürlich rhetorisch), und wer die Tränen jetzt noch wegdrücken kann, der sollte bei  Thomas Gottschalk mal eine entsprechende Saalwette in Angriff nehmen. „Will it make it easier on you now, if you’ve got someone to blame?“ Nein, mittelfristig wohl eher nicht.

Man fühlt sich der Läuterung so nah: Der salzige Geschmack auf der nass geweinten Oberlippe ist ein besonderer Genuss, den man sich nur für wahre Hundstage aufheben sollte. Langsam mischt sich sogar ein bisschen Selbsterkenntnis ins Selbstmitleid: „I’m losing more than I ever have!“, fassen Maximo Park das Problem in Postcard Of A Painting zusammen. Sehr wahr, sehr wahr. Aber nur nicht zu lange darüber nachdenken, sonst sieht man sich noch zu Verzweiflungstaten wie Céline Dion oder Barry Manilov genötigt...der gierige Griff in den Plattenschrank fördert mittlerweile ohnehin rechte Bückware zutage, dennoch: Thomas D’s etwas bemühte Deutsch-Grundkurs-Lyrik ist in diesem Moment das Wahrhaftigste, was jemals in Worte gegossen wurde. „Du hast mein Herz geklaut!“, röhrt Nina Hagen dazwischen. Jawohl! Geklaut! Mein Herz! Endlich sagt’s mal einer! Eine Unverschämtheit war das! Und überhaupt: alles Schlampen außer Mutti!

Das Ende vom Lied: Erst wird man besoffen an seinem Selbstmitleid, dann kommt der dicke Schädel: Das Maß ist voll, soviel Tränenseligkeit hält ja kein Mensch im Kopf aus. Der fühlt sich mittlerweile an wie sonst der Bauch nach einer Familienpackung Kinderschokolade. War ganz gut, ist aber dann jetzt auch wirklich gut gewesen. Also schnell weg, den ganzen Kladderadatsch. Aber nicht zu weit weg. Schön in Griffweite. Der nächste Weltuntergang kommt bestimmt.