Aus der Mode gekommen
von Sven Kosack
von Stefan Berendes
Kennt noch irgendjemand „Mücke“? Nein? Mücke, das war quasi das ambitionierte Nachrichtenmagazin für den ABC-Schützen – brisante Themen wie die Zusammensetzung eines gesunden Waldbodens und der Schulalltag in anderen Ländern wurden da behandelt, der Finger wurde in die Wunde gelegt! Das alles naturgemäß mit vielen Bild eher wenig Wort - Lesen war ja unsere Sache noch nicht so sehr. In meiner Klasse hatten alle, die was auf sich hielten, ein Abo. Und alle anderen auch. Wir verschlangen die neue „Mücke“ etwa in der großen Pause, dazu gab’s Kakao oder – schon damals eine Glaubensentscheidung - Vanillemilch aus bauchigen Braunglasflaschen, die in der Retrospektive stark an Krankenhaus-Sondenkost erinnern. Wer kein Mücke-Abo hatte, wurde wahrscheinlich nicht versetzt. Ich weiß nicht, ob es „Mücke“ heute noch gibt. Andererseits werden auch in den frühen Schuljahren heute immer mehr Kinder nicht versetzt. Wahrscheinlich hatten sie kein Abo...
Auch in der Freizeit bestimmten Trends unser kindliches Spiel: Die Bewohner des intellektuellen Elfenbeinturms geboten über „Mask“-Vehikel, Autos, die sich mit wenigen Handgriffen in allerlei martialisches Kriegsgerät verwandeln ließen. Schlichtere Naturen und Kinder mit mangelhafter Hand-Auge-Koordination machte die zum Umbau erforderliche Fingerfertigkeit indessen schnell zu Ausgegrenzten. Fazit: Wer zu dicke Finger hatte, spielte also Fangen, Verstecken, Fußball oder schlug rhytmisch mit dem Kopf gegen Wände.
Unser damaliges Modebewusstsein mag einem die Forderung nach Schuluniformen plausibel erscheinen lassen -- nicht zur Verschleierung der elterlichen Einkommensverhältnisse, sondern zur Augenkrebs-Prophylaxe: Uns jedenfalls war kein Trend zu blöd, als dass wir ihn verschmäht hätten: Wir hängten uns in einem spontanen Rückfall ins Frühkindliche bunte Plastikschnuller als Fashionaccessoire um den Hals und sammelten wie toll bunte Aufkleber, die wir in eifersüchtig gehütete „Stickeralben“ einklebten. Ein gut gefülltes Stickeralbum war in diesen Tagen nicht selten der Eintritt in die High Society. Das war alles ganz furchtbar, aber wir merkten nichts dabei. Ein Glück.
Die Technokraten unter uns verzockten ihre besten Jahre (inklusive zahlloser Mathestunden) unterdessen in der Videospielabteilung des nahen Großkaufhauses: Fachverkäufer „Herr Stern“ war für sie Kumpel, großer Bruder - und vielfach mangels Masse wohl auch Vaterfigur. Im Hintergrund lief dazu die wohl schlechteste Musik aller Zeiten. „Wer die 80er liebt, der hat sie nicht erlebt“, soll mit Falco jemand gesagt haben, der es wohl nicht nur wissen muss, sondern den auch eine gewisse Mitschuld trifft. Leider gilt aus heutiger Sicht auch: „Wer die 80er für das Zeitalter des schlechten Geschmacks hielt, der hat die 90er nicht erlebt!“.
Das Ende vom Lied: Celine Dion wurde von der kanadischen Regierung in die US-amerikanische Sonderhandelszone Las Vegas exiliert, DJ Bobo uns seine „Pirates of Dance“ betreiben im Disneyland Paris Kinderbelustigung, Haddaway und Mr. President dürfen ihr Gnadenbrot in einer der unzähligen „Die -größten -Sommerhits -peinlichsten -Musiker -und -dümmsten -Moderatoren -Shows“ verzehren und bei Vollplayback noch einmal alles geben. Und Dr. Alban? Der hat sich ja vielleicht wirklich ein zweites Standbein in der Zahnmedizin geschaffen. Sonst eröffnet er wohl im Kreis Herne Baumärkte. Damit rächen wir uns an Musikern dafür, dass wir einmal ihre Platten gekauft haben, bevor wir auf Bob Dylan oder REM umgestiegen sind...