Regeln sind wichtig.

von Anna Groß

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 17, Februar 2006

Regeln sind wichtig. Früher gab es die zehn Gebote, an die sich alle halten sollten. Es gab das Gebot der Nächstenliebe und so weiter und so fort. Aber das ist alles von Vorgestern. Mache deinen Körper zum Tempel! Mache deine Seele zum Altar!  Wer hat’s gesagt? Genau Timothy Leary. LSD ins Trinkwasser und Tiere an die Macht und so. Obwohl es hätte auch von der Cosmopolitan oder Elle oder Vogue oder Freundin oder Für Sie-Redaktion erfunden sein können. Oder von mir, die ich diese Zeitschriften Mangels eines Rollenvorbilds in meinen Entwicklungsjahren beim Fernsehen konsumierte, auf der Suche nach den Regeln der Selbstgeißelung, der ich mich unterziehen könnte, um ein besserer Mensch zu werden. Ein glücklicher Mensch zu werden. Aber irgendwas fehlt einem ja immer zu seinem Glück.

Dünne Oberschenkel oder die große Liebe oder unermesslicher Reichtum oder eine Frisur. Sonst könnte man sich auch gleich hinlegen und sterben, oder nein, man stellt sich existenzielle Fragen, was noch schlimmer ist als tot zu sein. Besser ist es, seinen Geist und Verdauungsapparat mit anderen Dingen zu beschäftigen. Besser ist es, sich selbst zu verbessern. Nichts ist schlimmer, als wenn man nicht das Beste aus sich macht! Aber auch dieser Prozess ist niemals abgeschlossen. Was ich aus Frauenzeitschriften gelernt habe: Wenn man dick ist, muss man dünn werden. Wenn man dünn ist, muss man an manchen Stellen dick werden. Wenn man arm ist, muss man reich werden und wenn man reich ist, muss man berühmt werden. Wenn man allein ist, muss man ein Paar werden. Wenn man zu zweit ist, muss man qualitativ hochwertige Zeit miteinander verbringen (nur diese zählt eigentlich). Zum Beispiel an einem Wohlfühl-, Kuschel-, Wellness-, Fitness- oder Alles-gleichzeitig-Wochenende. Überhaupt immer muss man ganz viel Wasser und Tee trinken, am besten alles lauwarm und vor zwölf Uhr mittags. 

Man muss immer neckische Unterwäsche tragen, aber nur für sich selbst. Man darf nie so aus dem Haus gehen, dass man nicht dem verhassten Exfreund begegnen möchte… Man darf nicht immer das gleiche Shampoo benutzen, weil die Haare sonst schlapp aussehen. Und nie, nie, nie darf man Zigaretten rauchen oder mit Wimperntusche schlafen gehen oder schwarzen Kaffee zu Mohnkuchen und Weißwein von der Tankstelle auf leeren Magen oder Bier aus großen Dosen trinken zu salzigem Essen, denn das gibt vorzeitige Hautalterung.  Was eigentlich das allerschlimmste ist, was einem überhaupt nur passieren kann. Wenn man alles beachtet hat, darf man ab und zu ein Stückchen Schokolade essen. Damit die Tabletten besser runter gehen.