erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 16, Dezember 2005
Frühstücken wollten wir. Beziehungsweise „brunchen“, wie das ja mitlerweile in neudeutsch auch schon fast wieder nicht mehr heißt. Ganz gepflegt: Brötchen, Marmelade, fettarme Margarine, und ganz sicher war irgendwo in der Planungsphase auch von Kaffee und Café die Rede gewesen. Dabei von ersterem als dringend benötigtem Getränk, damit die Augenlider endlich ihre Vetoposition gegenüber den darunter befindlichen Augäpfeln aufgäben, und also nicht der gesamte folgende Samstag im 16:9-Format stattfinden müsste, von letzterem als geeignetem Austragungsort, um dem unziemlichen Stress der Frühstücksvorbereitungen zu entgehen. Problemlos möglich waren als Gegenentwürfe auch ein Katerfrühstück oder ein „Exzessausgleichsfrühstück“: Brunch; Rollmops und basische Gemüsebrühe schienen ebenso machbar wie frischgepresster Fruchtsaft und ein zukünftig sehr viel gesundheitsbewussteres Dasein: Hauptsache ohne Stress eben, einige nette (und im besten Falle in etwa ähnlich verschlafene) Menschen, die sich über dem reich gedeckten Frühstückstisch einer ausgiebigen Nachbesprechung und Rekonstruktion des Vorabends widmen. Und außerdem wirkt Brunchen mit Freunden im Café natürlich sehr viel gekonnter als Frühstücken zuhause mit Mama und Papa. Und den Dreck muss man hinterher auch nicht selbst wegräumen.
Soweit unsere Vorüberlegungen.
Unsere Kalkulationen schienen fehlerfrei, das Frühstück schon so gut wie gegessen und der Start in den Tag dadurch gerettet. Vergessen hatten wir nur eine karnevalistische Groteske mit dem schönen Namen „Ossensamstag“, die sich für den in ihr stattfindenden Irrsinn just denselben Samstag ausgesucht hatte wie wir für unseren Cafébesuch. Die Vorstellung, brötchenkauend im Epizentrum der verordneten Fröhlichkeit zu sitzen, schien uns nun aber eher abschreckend, und so kam es mehr oder weniger direkt nach dem Aufstehen – es ging auf 12 Uhr mittags – zur bademantelgewandeten Krisensitzung, in deren Verlauf ein konstruktiver Plan B entwickelt werden sollte, denn das Stadtzentrum, soweit bestand Konsens, galt es weiträumig zu umgehen.
Die Alternativvorschläge tröpfelten eher spärlich, das als brandheißer Geheimtipp empfohlene Café am Stadtrand vermochte ebenso wenig alle Beteiligten zu überzeugen wie das Stehbistro zwei Querstraßen weiter. Schnell wurde klar, dass jeder Vorschlag schlechter war als der vorhergehende, und man deshalb auch gleich richtig tief einsteigen konnte. Nur so erklärt sich unser Entschluss, unseren Frühstücksbrunch in der Caféteria eines Möbelhauses in Sichtweite einer vielbefahrenen Bundesstraße einzunehmen. Wenn, dann auch gleich richtig.
Also rein in die Autos und raus ins Gewerbegebiet!
Kaum in Worte zu fassen dann unsere Enttäuschung, als wir nach unerbittlichem Gewurschtel durch Heerscharen von möbelkaufenden Wochenendaktivisten in der chromblitzenden Lobby der Möbelhauscaféteria feststellen mussten, dass wir - der fortgeschrittenen Tageszeit sei Dank - allenenfalls auf ein Jägerschnitzel als Magenöffner hoffen durften. Adé Kaffe! Erst der in aufsehenerregender Lautstärke und bemerkenswert hoher Kreischigkeit vorgebrachte Diskurs zwischen einer barocken Mittdreißigerin und ihrem etwa vierjährigen Sohn „Gianluca“ vermochte uns aus unserer Apathie zu reißen. „Dschannlukka“, greinte nun nämlich die für Samstagvormittag unangenehm laute Kundin quer durch den Verkaufsbereich, „wenn du eine Pommes willst, dann bring den Metermaß zu Mama!“
Das schien uns ein faires Angebot zu sein, denn Mama würde nach Rückerhalt des Metermaßes mit Vermessung und Erwerb der angepeilten Astkiefer-Regalruine fortfahren können, und ihr Filius würde die Gelegenheit erhalten, seinen Cholesterinspiegel schon frühkindlich auf ein bedenkliches Maß anzuheben. Fazit: „Eine Pommes“ wollten wir nun auch, nur hatten wir erstens kein(en) Metermaß, den wir zu (oder noch besser „bei“) Mama bringen konnten, und zweitens: Woher die frittierte Kartoffel nehmen, wenn nicht stehlen?
Doch wo der Deutsche Möbel kauft (oder sonstwie sein Tagwerk verrichtet), da bekommt er Appetit auf ungesunde Scheiße. Und so fand sich ein passender Wurst- und Frittenbräter nur einen Steinwurf entfernt.
Von Kaffee und Café hier zwar keine Spur, aber an die unvermeidlichen Stehtische gelehnt kochendheiße Currywurst- und Kartoffelschlacke mit einer Plastikgabel in den grollenden Magen zu schaufeln und derweil versunken dem vorbeiröhrenden Schwerlastverkehr auf der naheliegenden Bundesstraße nachzuschauen, das war schon eine erhebende Erfahrung. Da fühlten wir uns schon fast wie echte Fernfahrer oder ähnliche Asphaltcowboys. Aufkeimende Zweifel an Sinn und Zweck der Aktion sowie am eigenen Geisteszustand ertränkten wir in Unmengen süßer Limonade fragwürdiger Provenienz. Denn über eines waren wir uns jetzt schon einig: So schön hätten wir im Café garantiert nicht frühstücksbrunchen können.
Schon gar nicht am Ossensamstag.
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