Irgendwas mit Amerika - Folge II

von Darren Grundorf

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erschienen in Kommunikaze 12, Dezember 2004

Bevor Darren Grundorf (Text) und Jan Paulin (Bild) Weihnachten von ihrer großen Reise durch die USA heimkehren dürfen, berichten sie in dieser Ausgabe ein zweites und letztes Mal exklusiv aus New Jersey. Unsere Berichterstatter haben  zwar in den letzten Wochen jegliches Vertrauen in Land und Leute, 200 Dollar im Casino (Paulin), sowie eine gesunde Darmflora (Grundorf), jedoch nicht ihre Begeisterung an ihrer schönen, schönen Fahrt durch die USA verloren.


Amerika, Vereinigte Staaten von! Noch immer sind wir hier, und es ist Winter geworden in Glassboro, New Jersey, wo wir seit nunmehr drei Monaten leben (müssen), um Eindrücke von einer unzivilisierten und fremden Kultur zu sammeln und damit die Seiten einer drittklassigen Osnabrücker Studentenzeitschrift zu füllen. An den Gegebenheiten hat sich außer der Jahreszeit nicht viel geändert. Ehemals bunte Eichen und Buchen recken ihr kahles Geäst nun müde über das blasse Grün der Wiesen, wo die letzten Eichhörnchen die letzten Eicheln in die Erde drücken oder im Laub miteinander kopulieren, bevor es zu kalt für derlei Dölmereien wird. Viele von ihnen haben sich aber für die kalten Wintermonate schon auf den Weg nach Florida oder Mexiko gemacht und uns in diesem toten Nest zurückgelassen. Auf den Straßen Glassboros passiert weiterhin rein gar nichts, und dort umherzugehen, ist langweilig und nicht einmal halb so spannend wie durch Dörfer Sachsen-Anhalts zu spazieren, wo immerhin noch die Chance besteht, von arbeitslosen Jugendlichen vorm Jugendtreff angepöbelt zu werden. Zu unserer Überraschung fanden wir dann aber die Tage tatsächlich so etwas wie ein Cafe in unserer Wahlheimat, dass allerdings nicht die Größe hat, um dort mit mehreren Leuten gleichzeitig einzukehren, um eine Tasse Kaffee zu bestellen.

New Jersey ist aber ohnehin nicht gerade der amerikanische Bundestaat, der einem Reisendem einen bunten Strauß an Attraktionen bietet, und der Geheimtipp eines Bekannten, ein Besuch im Glasmuseum in Millville, war dann auch nicht das große Los und kam in etwa dem Unterhaltungswert einer Fahrt in der Wuppertaler Schwebebahn oder dem Besuch im Meller Wildschweinpark gleich. Paulins einmaliger Orientierungssinn und seine kognitiven Fähigkeiten am Steuerrad gaben uns aber immerhin die Gelegenheit, auch auf einfachsten Fahrten die Vielzahl kleiner und gemütlicher Ortschaften des Garden States kennenzulernen. Manche davon sogar mehrmals.

Weitaus spannender ist es aber doch, auf dem Campus der Rowan University den jungen Amerikanern bei dem, was sie ihr Leben nennen, zuzusehen, und wir beantworten auch weiterhin allen an unserer Herkunft und Kultur interessierten Studenten und Studentinnen ihre vielen, vielen Fragen. Samantha (19) trifft uns im Parkgelände der Universität und will heute mit uns die Frage erörtern, ob es denn in Deutschland auch Eichhörnchen gibt. Unsere Antwort, dass wir drüben in Deutschland zwei Eichhörnchen hätten - ein kleineres und ein etwas größeres, entlockt ihr ein mitfühlendes „That’s sad!“, bevor sie ihren recht kräftigen Körper, auf dem außer den beiden deutschen Eichhörnchen, wohl auch die sieben aus Dänemark, die vier aus der Schweiz und die 12 aus Frankreich mühelos Platz fänden, an uns vorbeischiebt, um sich wahrscheinlich für den Rest des Tages mit ihren Gedanken um dem Bestand der deutschen Eichhörnchenpopulation zu sorgen. Doch eigentlich sind es vielmehr wir, die sich hier Sorgen machen müssen.

Wo wir schon eingeschrieben sind an der Universität, besuchen wir natürlich auch gerne die Vorlesungen, um uns einen Eindruck vom amerikanischen Bildungssystem zu verschaffen. Auf Paulins Drängen wählten wir einen Schauspielkurs mit dem vielversprechendem Titel „Experiencing Acting“, weil dieser, so Paulin, vielleicht irgendetwas mit Drogen zu tun haben könnte. Nachdem uns dann unsere Schauspiellehrerin von Beginn mit mütterlicher Leidenschaft mit viel Liebe übergoss, wie Paulin es nicht einmal aus seiner Waldorf-Vergangenheit gewohnt war, und wir nicht einmal ein Kaugummi in den Papiereimer werfen konnten, ohne danach nicht mit ihr erörtern zu müssen, wie wir uns dabei gefühlt haben, zweifelten wir schon ein wenig an ihrem gesunden Verstand. Nachdem sie dann aber auf der Bühne auch noch sogenannte „Atmungsübungen“ vorführte, bei denen sie unter lautem Stöhnen und dem Ausruf von animalischen Lauten auf der Stelle hin- und herwippte, als hätte sie zuvor Klebstoff geschnüffelt, um anschließend auf der Bühne umherzulaufen wie Jim Knopf auf Koks und dabei die Geräusche einer Ballwurfmaschine auf dem Tennisplatz zu imitieren, bestand unsererseits kein Zweifel mehr, dass zumindest „Klebstoff-Gertrud“, wie wir sie seitdem liebevoll nennen, ein ernstes Drogenproblem hat. Ungläubig verfolgten wir in den kommenden Wochen, wie die amerikansichen Studenten begannen, Klebstoff-Gertrud bei ihren „Atmungsübungen“ auf der Bühne hinterherzulaufen. Unser Versuch, das ganze aus der Ferne zu beobachten scheiterte jäh, da unsere Ausreden (Knie tut weh, Röteln, Oma gestorben) nicht lange Wirkung zeigten, und so fanden auch wir uns eines Tages hinter Getrud auf der Bühne wieder und versuchten durch das Imitieren diverser Küchengeräte unser Interesse für ihr Atmungs-Übungs-Treiben zu bekunden. Irgendwann ließ unser Interesse dann aber doch nach, und wir blieben lieber zu hause. Seitdem laufen Klebstoff-Gertrud und die Amerikaner ohne uns über die Bühnen der Rowan-Universität und fühlen sich dabei bestimmt immer noch ganz gut.

Doch verlassen wir den Campus für eine Weile und sehen uns wieder ein wenig in der Gegend um. Ein beispielloses Wendemanöver von Chefpilot Paulin in Nähe des Museum of Art bringt uns anderntags in unserem geliehenen Wagen an unserem Ziel (Museum of Art) vorbei in das fünf Meilen entfernt gelegene Camden, wo man recht gute Chancen besitzt, einem Gewaltverbrechen zum Opfer zu fallen. Während man sich in Philadelphia nachts vor allem in den zahlreichen Clubs umschießen lassen kann, kann man sich im benachbarten Camden vor allem in den Straßen anschießen lassen. Hier sterben laut der USAtoday mehr Menschen durch Gewaltverbrechen, als in jeder anderen Stadt der USA. Das Überfallen und Erschießen von auswärtigen Besuchern der Stadt ist eine beliebte Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen in Camden. Unter den doch recht interessierten Blicken der Einheimischen chauffiert uns Paulin in dieser Nacht durch Straßen, durch die man lieber nicht fahren möchte, schon gar nicht nachts, und während ich die Türen verriegele, male ich mir aus, wie in einer dunklen Einbahnstraße aus dunklen Ecken dunkle Gestalten auftauchen, die man nicht einmal bei Tageslicht treffen möchte, uns um unserere Geldbeutel bitten, erschießen und zur Restmülltonne herübertragen. Am Ende geht aber alles gut, und so wird es doch noch eine ganz schöne Fahrt.

Schön ist es aber auch daheim in unserem Apartment, wo man sich zumindest vor gewalttätigen Jugendlichen und drogenkranken Schauspiellehrerinnen weitaus sicher fühlen kann, nicht aber vor den eifrig fragenden Studenten. Unser Nachbar Brent (20) möchte gerne wissen, was wir den ganzen Tag so machen, wo wir doch keinen Fernseher und keine Computerspiele haben. Dies ist ausnahmsweise mal eine berechtigte Frage, besteht doch die Kindheit, Jugend und Studium eines normalen männlichen Amerikaners aus  Videospielen, Fernsehen und dem Umbau des Schlafzimmers in ein Computer-Multimedia-Entertainment-Imperium. In Glassboro gibt es zur Freizeitbeschäftigung, außer z.B. ein Buch lesen, keine großen Alternativen. Für die Bars sind die meisten Studenten nicht alt genaug und in das Café passen ja nicht viele rein. Deswegen sitzen sie dann vor den Bildschirmen in ihren Schlafräumen und klappern durch die Fernsehprogramme oder verlieren sich in Spielen wie „Totschiessen 4“ oder „Alles kaputt machen 5“, umgeben von einer Hard- und Software, die wohl genügen würde, um damit aus dem Wohnzimmer Trägerraketen ins All zu schießen, zumindest aber um mühelos den Flughafenverkehr Paderborn-Lipstadt zu regeln. Nur abends bleiben die Rechenmaschinen einmal still, wenn sich die amerikanischen Studenten heimlich, dafür aber exzessiv betrinken, um unter anderem dem weiblichen Geschlecht zu imponieren. Das ganze zu beobachten, reiht sich vom Unterhaltungswert sicherlich in die Kategorie Schwebebahn/Glasmuseum ein, wer will es diesen jungen Menschen aber verdenken? Am wenigsten wir, denn auch wir waren ja einst Jünglinge mit güldenem Haar, die heimlich tranken und feierten und glaubten, man könne Mädchen beeindrucken, wenn man sich an den Rande einer Alkoholvergiftung bringt. Immerhin fiel uns bei dieser Gelegenheit wieder ein, dass sich durch Alkohol Depressionen vergessen lassen und man damit prima für so manche Nacht der rosaroten amerikanischen Realität entfliehen kann.

Und so stehen wir eines Nachts in irgendeinem Wohnzimmer und trinken irgendwas, als die Nacht schon fortgeschritten und der Morgen nicht mehr fern ist, und nachdem ich Melissa (19) noch kurz erklärt habe, dass die Erde keine Scheibe ist, und Jan in irgendeiner Ecke mit dem Imitieren einer Spühlmaschine ein paar Mädchen beeindruckt hat, setzen wir uns gemeinsam auf ein Sofa, blicken im Raum umher und finden alles gut und haben wohl auch ein ganz gutes Gefühl dabei. God bless America und uns beide auch!