Pferdewurst

von Michael Weiner

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 12, Dezember 2004

Ich finde, es ist ein schwieriges Thema. Ein überaus schwieriges sogar. Doch ich finde, an dieser Stelle muss es angesprochen werden. Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll, aber es gibt da Menschen, die essen... nun ja, die essen Pferde. Und den überwiegenden Teil meines Lebens wusste ich das gar nicht. Doch für alles im Leben gibt es eine Zeit: Es kommt die Zeit, da einem eröffnet wird, dass man gar nicht vom Storch auf der Türschwelle abgelegt wurde, dass der Weihnachtsmann immer Onkel Klaus im roten Mantel war, und analog dazu erfährt man gleich, dass es weder den Osterhasen noch die Zahnfee wirklich gibt. Die ganze Zeit haben einen die Erwachsenen beschissen.

Einmal bin ich noch der grausigen Wahrheit entronnen. Das war, als ich mit meinen Eltern bei meinen Großeltern war, und meine Oma mir auf Anfrage mitteilte, es gäbe Spätzle zum Mittag. An jenem Tag sah ich in meiner Phantasie sogleich meine Oma, meine liebe Oma, mit der umgebundenen Schürze in den Garten gehen, wo sie mit Brotkrumen einige der putzigen braunen Gesellen anlocken und ihnen mit einer schnellen Handbewegung den Hals umdrehen würde, um eine Stunde später ein großes Tablett gebratener Sperlinge zu servieren. Nach einigen Wirren konnte mir glaubhaft weißgemacht werden, dass es sich bei Spätzle um ein süddeutsches Nudelgericht handelte, das mir als Norddeutschem unbekannt war, und mitnichten um gebratene Spatzen.

Doch einige Jahre später sollte die Gelegenheit kommen, bei der sich das angestaute Entsetzen über grausliche Essgewohnheiten Bahn brechen konnte. Es war der neunhundersoundsovielte Bremer Freimarkt. Wie immer waren wir mit ein paar Freunden dort gewesen, wie immer hatte ich, während sie sich in sich schnell bewegenden Stahlkolossen ordentlich hatten durchschütteln lassen, alle Brillen und Geldbörsen haltend neben dem Fahrgeschäft gewartet, und wie immer hatten wir darüber diskutiert, wo im Top Spin nun Motoren und wo nur Bremsen angebracht waren. Und wie immer hatten wir uns gegen Ende des Freimarktbesuches noch was zu Essen gekauft. Champignons, Zuckerwatte, Eis wie Sahne.

Doch dann, ganz und gar nicht wie immer, meinte mein Freund Bernhard, er habe dieses Jahr noch gar keine Pferdewurst gegessen und er müsse das unbedingt noch tun, und da vorne wäre ja auch schon der Stand, an dem es das Objekt seiner Begierde zu kaufen gäbe. Was genau, mein lieber Bernhard, willst du essen? Eine Wurst aus Pferdefleisch? Plöpp, fällt das Eis wie Sahne aus der Hand, die Zuckerwatte klebt an des Vordermanns Jacke. Pferdewurst? Das kann doch wohl dein Ernst nicht sein! Doch, es war sein Ernst, und wie er nun am Stand seine Pferdewurst aß, entwickelte sich ein neues „wie immer“ der Freimarktsbesuche, denn für meinen Freund Bernhard und alle Umstehenden gut vernehmbar, tue ich jedes Mal mein Unverständnis über den Konsum von Pferdefleisch kund.

Pferde haben schon so viel für den Menschen getan. Sie haben geholfen, Amerika zu erobern, sie haben geholfen, die Äcker zu pflügen. Sie sind gute Arbeitstiere in der Forstwirtschaft und außerdem unsere Freunde ( und kein Futter!). Und jedes Mal klärt mich mein Freund Bernhard, genüsslich an einem Zipfel schrumpeliger, rötlicher Pferdewurst kauend, auf, dass es nur sinnvoll sei, die Pferde nach einem frohen Leben auf der Koppel eben noch zu Wurst zu verarbeiten. Viel besser, als Schweine und Rinder dafür zu züchten, einzupferchen und sie, nachdem sie nicht ein Mal die Sonne erblickt haben, im eigenen Darm zu verspeisen. Von Hühnchen ganz zu schweigen. Außerdem äßen die Menschen in anderen Teilen der Welt noch ganz andere Tiere. Hunde, Katzen, Kängurus, Insekten, Papageien, Schildkröten und weiß der Henker, was noch alles. Ich habe sogar unlängst im TV gesehen, dass es in Hongkong einen Penis-Imbiss gibt, wo man sich an den Fortpflanzungorganen diverser Spezies gütlich tun kann. Und erst heute habe ich gelesen, dass die Isländer traditionsgemäß am Abend vor Weihnachten vergammelten Stachelrochen in ausgelassenem Schafsfett braten und verzehren.

Ja, toll, Ihr habt ja alle Recht. Esst doch Pferde oder gar kein Fleisch! Aber habt Ihr dabei eins bedacht? Wer isst bitte Menschenaffen? Menschenaffen sind uns nämlich auf der Treppe der Evolution dicht auf den Fersen und in ein paar Millionenmilliarden Jahren schubsen sie uns von der obersten Stufe runter. Außerdem rächen sie sich dann an uns für all ihre Kameraden, denen wir bei Tierversuchen Elektroden in die Köpfe gedreht haben, um zu gucken, ob sie mit den Armen wedeln, wenn man sie an eine Autobatterie anschließt.

Dann kommen wieder alle an und jammern rum. Aber dann ist es zu spät, dann können wir nicht mehr abhauen, denn die Pferde, auf denen wir fortreiten könnten, haben wir alle aufgefressen.