erschienen im Rahmen des Titelartikela in Kommunikaze 3, April 2003
Ein einmaliges Ereignis deutscher Fernsehgeschichte bahnte sich an und ich durfte dabei sein: Ein privater Fernsehsender suchte - wie zuvor schon Pfarrer, Frisöre und Bürgermeister - jetzt Deutschlands klügstes Kind. Auf windigen Wegen (übers bekanntermaßen ja nicht zu manipulierende Internet) wurden aus tausenden von Blagen die 24 vermeintlich Intelligentesten ausgesucht. Alle beteuerten, die Internetvorrunden ohne Hilfsmittel gemeistert zu haben. Wer´s glaubt, wird selig - vielleicht unter Mithilfe von Deutschlands klügstem Pfarrer. Das Aussehen der Probanden spiegelte die Klugscheißer regelrecht wieder. Und was nicht an der Erscheinung deutlich wurde, stach doch zumindest durch die Fachgebiete heraus: Spinnen, Nationalflaggen und Barbarossa. „Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen!“, dachte ich, doch man lernt nie aus. Denn wo ein Wille zur Manipulation, dort gibt es auch Wege - aber fange ich doch am besten vorne an:
Nach einer dreistündigen Busfahrt im legebatterieähnlichen Fahrzeug wurden wir von Barbie und Ken (sie leben wirklich!) - ausgestattet mit Headphone und Manuskripten - ins Studio geführt. Die beiden schienen dort zu arbeiten. Oder nur gut auszusehen. Wer vermag das schon zu sagen? Zur allgemeinen Überraschung enttäuschte das im Fernsehen einer gotische Kathedrale ähnelnde Studio durch sehr überschaubare Dimensionen. Zum Auftakt führte uns „Warmupper“ Thomas in die Kunst des Klatschens ein. Als dann nach 15 Minuten die vorproduzierten Zuschaueraufnahmen im Kasten und wir im Eimer waren, brauchte Moderatorin Sonja etwa eine halbe Stunde für die Anmoderation, was nicht zuletzt an der ausgefuchsten Choreographie lag.
Und endlich konnte die Sause beginnen: Die Teilnehmer kamen gestylt wie Models ins Studio, beantworteten die Vorrundenfragen und flogen dann gleich wieder raus. Denn nur drei Wissbegierige kamen weiter. Und diese konnten zu ihren Spezialgebieten alle Fragen beantworten. Oder auch nicht. Das war dann Pech. Doch das Fernsehen wäre nicht ebendieses, gäbe es keine Pannen. So zählte in der Schnellraterunde - Zeitlimit 45 Sekunden - der Computer die Antworten nicht richtig - so ein Computer ist eben auch nur eine Maschine - und der Regisseur war gezwungen, nach drei Fragen abzubrechen und das gequälte Genie in eine neue Runde zu schicken, in der die Kandidatin ebenfalls die gleichen Fragen nur falsch beantworten durfte. That´s TV.
Und nach unzähligen Pausen und vier Stunden geballter Aufmerksamkeit („Die Kamera sieht jedes grimmige Gesicht“) stand endlich das klügste Kind fest. Einen Sendetermin gibt es indessen noch nicht. Doch der lässt bestimmt nicht lange auf sich warten: Wie könnten schließlich Deutschlands Fernsehzuschauer auf solch wichtige Ereignisse verzichten?
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