erschienen als Titelartikel in Kommunikaze 11, November 2004
Nach Fontanes "Wanderung durch die Mark Brandenburg", Heines "Harzreise" und "Petzi in Pingonesien" wird die deutsche Reiseliteratur mit Darren Grundorfs und Jan Paulins "Fahrt in die USA" um ein literarisches Filetstück bereichert, das schon jetzt ein Klassiker zu werden verspricht. Den Erstabdruck des Ende des Jahres in sieben Bänden erscheinenden Werkes gibt es natürlich nur hier in der Kommunikaze.
Die USA, wer kennt sie nicht? Die Vereinigten Staaten von Amerika. Über wohl kein anderes Land und seine Bewohner gibt es so viele Vorurteile wie über dieses: Amerikaner sind faul und bequem, dumm und oberflächlich, sie fressen den ganzen Tag ungesundes Zeug und gucken dabei fern und leben in einer Traumwelt fernab von jeglicher Realität. Wir befinden uns seit nunmehr sechs Wochen in den USA und müssen sagen: Alles stimmt!
Für unsere Studienreise haben wir uns Glassboro, ein kleines, gemütliches Nest im Norden New Jerseys ausgesucht, was sich nach näherer Betrachtung als die wohl langweiligste und unspektkulärste Stadt nördlich des Äquators herausgestellt hat. Schlimmer ist es nur noch in der Uckermark, in die wir einmal gerieten, als wir uns auf dem Weg nach Berlin, wo wir unser Visum für die USA abholen sollten, verfuhren.
Amerika also. Von einem Spanier aus Zufall entdeckt, durch den weißen Mann von den Indianern befreit, wächst hier ab irgendwann ein Land heran, dass einmal die Vinaigrette unter den Nationen der Erde werden soll. Ein Land, in dem Träume noch wahr werden können, und das Unmögliche noch möglich gemacht werden kann. Hier lebt eine Nation zusammengeschweißt aus vielen Nationalitäten! Eine Nation, in der alles viel größer und schöner ist! Eine Nation, die zum Mond fliegt! Eine Nation, die bei Kriegen und Olympia immer gewinnt und eine Nation, die große und in ihrem Wesen einmalige Menschen hervorgebracht hat (z.B. Martin Luther King, Bob Dylan und David Hasselhoff).
Wir betreten amerikanischen Boden in einer Zeit der Angst und der Sicherheitsstufen eins bis zwei. Nicht einmal drei Jahre zuvor wurde die amerikanische Bevölkerung aus ihren Tagträumen gerissen, als hier zwei Maschinen der American Airline in die Türme des World Trade Centers rasten. Wir hingegen nehmen die klassische Variante und landen ganz unspektakulär auf dem International Airport in Philadelphia. Vor uns liegt New Jersey, unser neues Zuhause. New Jersey, auch genannt: The Garden State. Und tatsächlich erstreckt sich hier unter der Herbstsonne das satte Grün über Meilen hinweg, auf den Bäumen bahnt und raschelt sich der Wind seinen Weg durchs Laub, ein paar Tauben plaudern im Geäst, und auf den Wiesen tummeln sich die Eichhörnchen und hauen sich die Eicheln und die Kastanien um die Ohren. Und hätte Bruce Springsteen in seinen Liedern nicht die Schönheit seiner Heimat schon so oft besungen, würde uns die Optik glatt überrennen, ob dieser grünen Vielfalt und den ganzen Tieren und so.
Und da, wo viel Wiese ist, ist meistens wenig Stadt. Und wo wenig Stadt ist, ist meistens nicht viel los (siehe auch: Uckermark). Das merken wir schon bald, als wir in Glassboro, unserem Zielort, angekommen sind. Hier passiert rein gar nichts. Es wäre auch nichts da, wo etwas passieren könnte.
Für unseren viermonatigen Besuch haben wir uns an der Rowan University eingeschrieben. Immerhin gibt uns das universitäre Umfeld die Möglichkeit, ein wenig aus und von dem Leben junger Amerikaner zu erfahren: Was sie denken, wie sie denken, ob sie denken? Uns interessiert natürlich, was sie von uns Europäern denken. Was in ihrer Welt so vor sich geht, und was sie in ihrem Alltag so bewegt. Emily (20) heißt auf jeden Fall das Mädchen, das sich am Tag nach unserer Ankunft in der Cafeteria mit seiner Pizza auf unseren Tisch zubewegt. Ihr recht üppiger Hintern schiebt sich einen Sekundenbruchteil später hintendrein. Sie setzt sich.
Emily ist recht aufgeregt, als sie feststellt, dass wir eine andere Sprache sprechen und weiß zu berichten, dass ihre Freundin mal eine Mitbewohnerin hatte, die auch europäisch gesprochen hat. Sie zeigt sich ein wenig überrascht, als Jan ihr erklärt, dass wir deutsch sprechen, und dass fast jedes europäische Land seine eigene Sprache hat. "Ich dachte, die sprechen alle das gleiche", wundert sich Emily, bevor sie kräftig in ihre Pizza beißt. Jan verliert noch ein paar Worte zur germanischen und indogermanischen Sprachgeschichte, ich notiere dieweil schon mal alles für unseren Bericht. Emilys Äußerungen werden in den folgenden Wochen nur noch von Kimberlys (19) erzählungen übertroffen, ihr Vater sei letztes Jahr in Deutschland gewesen, und zwar in Wien. Auf unseren Einwand, dass Wien schon vor längerer Zeit nach ein paar Unstimmigkeiten zwischen dem damaligen Reichskanzler und einigen anderen Staaten vom Deutschen Reich abgetreten wurde, und Österreich seitdem ein eigener Staat sei, bemerkt Kimberly, dass ihr Vater dann vielleicht doch nicht in Deutschland gewesens sei.
Nach ein paar Wochen haben wir uns in Glassboro eingelebt und waren auch schon mal in einer richtigen Stadt. Philadelphia ist zum Glück nicht allzu weit entfernt und lockt uns immer wieder aufs Neue durch Einrichtungen, die wir in Glassboro vergeblich suchen, wie beipspielsweise Geschäfte, Kneipen, Cafés oder Restaurants.
Zurück an der Universität notieren wir uns ein paar Worte zur Kleiderordnung der Amerikaner. Eigentlich sehen alle gleich aus. Im obligatorischen Sweater der Universität präsentieren sich sowohl die Herren mit ihren Shorts und Turnschuhen, als auch die Damen mit Rock und Turnschuhen im athletischen Dress des Modeherbstes 2004. Eine Ausnahme bilden zum einen die sogenannten Skater, die ein wenig lässiger gekleidet auf ihren Rollbrettern daherkommen; weit größere Freude bereiten uns aber jene jungen Männer, die der sogenannten Rap-Kultur zuzurechnen sind. Was diese Herren sich, bevor sie das Haus verlassen, über Schultern und Schenkel streifen, ist bisweilen von grausiger Komik. Bei ihnen ist in Sachen Kleiderordnung so ziemlich alles erlaubt, was vollkommen bekloppt aussieht, und beobachtet man sie eine Weile, lassen sich sogar bestimmte Regeln für ihre Kleiderordnung feststellen: Ihre weißen Shirts sind viel zu lang, die seltsamen Schlafanzughosen, die sie dazu tragen, viel zu weit, aber dafür sind ihre Bomberjacken wiederum etwas zu klein. Auch bei der Kopfbedeckung bietet sich dem Betrachter ein Bild des Grauens: Getragen werden Schirmmützen in alle Himmelsrichtungen, auch schon mal zwei übereinander in verschiedenen Richtungen. Beliebt sind aber auch Wollmützen, die sich ebensogut auf dem Kopf stapeln lassen, und sogar die altbewährte Bommelmütze, die man in Deutschland noch aus der Grundschulzeit kennt, und wegen der man auf dem Pausenhof schon mal einen auf das Maul bekam, erfährt hier eine Renaissance.
Um die ganze Kleiderkombination völlig zu entstellen, darf sich jeder von ihnen noch ein Teil mitbringen und irgendwo an sich befestigen. Das dürfen Goldketten am Ärmel sein, Handtücher, die aus der Hosentasche hängen oder auch Bleistifte, die unter die Schirmmütze geschoben werden. In Vororten von Philadelphia, so erfahren wir, dürfen bisweilen auch Schusswaffen mitgebracht werden.
Nun ist es eine wahre Freude, einer sogenannten Gang von Rap-Musik-Enthusiasten auf dem Campus zuzusehen. Wer zum ersten Mal auf eine solche Gruppe trifft, wähnt sich im ersten Moment vielleicht auf einem Rosenmontagsumzug, wird aber im Folgenden fasziniert der Gemeinschaft bei der Ausübung ihrer fremden Kultur zusehen. Ihre Gangart und Sitzhaltung erinnernein wenig an Jim Knopf und Stephen Hawking, und bei ihren aufwändigen Ritualen hat man als Betrachter immer Angst, dass sich der eine oder andere doch einmal den Arm auskugelt. Gesprochen wird über Alltägliches. Wichtig hierbei ist es, die Arme kontinuierlich zu bewegen und dabei die Hände abwechselnd zur Brust zu führen und von sich zu strecken. Man darf dabei auch schon mal aufstehen, solange man allerdings die Armbewegungen dabei nicht vergisst. Es wird laut gesprochen, und einige gängige Redefloskeln sind "Yo, what's up, dog?" (dt.: Guten Tag, was ist denn so los, Hund?) oder "You're fuckin' right, nigga!" (dt.: Wohl gesprochen, mein Freund afroamerikanischer Herkunft!).
Um sich diesen fremdartigen Wesen ein wenig zu nähern, wird sich Jan in den kommenden Wochen untr diese Gruppe lustiger Menschen schleichen. Entsprechende Gesten und Bewegungen hat er schon drauf, ohne sich dabei schwerere Verletzungen zuzufügen, und die relevante Kleidung fanden wir sowohl in einem Geschäft für Übergrößen als auch im örtlichen Kindergarten am Haken auf dem Flur. Um ein bisschen Aufmerksamkeit zu erzeugen und seine kulturelle Loyalität zu beweisen, wird Jan eine Schalmütze mit Bommel tragen, und als besonderes Bonbon werden wir ihm eine Schnabeltasse an die Backe kleben. Was Jan über das Leben dieser Menschen erfahren wird, und ob sie Schusswaffen bei sich hatten, erfahrt Ihr in der nächsten Folge!
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